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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,4.1916

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Heft 24 (2. Septemberheft 1916)
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Vorübergehend geräumte Stellungen, die wir wiedergewinnen müssen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14294#0294

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„moralischen Kompromiß". Nachdem sie sich lange gewehrt haben, endigen
sie bei einem lächelnden Sich-Ergeben.

Man hört häufig sagen: Wenn die KLmpfer aus dem Felde heimkehren,
wird sich manches zum Guten ändern. Daran glauben wir alle, aber nicht
in allen Dingen wird es gelten. Kein unbedingt richtiges Allgemeinurteil
über den Einfluß des Krieges auf die Soldatenseele kann aus den Erfah«
rungen eines Einzelnen kommen. Mit dieser Einschränkung auch meines
Urteils sage ich für den freideutschen Kreis:

Der Teil der neudeutschen Iugend, der aus dem Völkerwürgen heim--
kommt, der hat an Blick für die Lebenswirklichkeiten wie alle Kriegsteil-
nehmer viel gelernt. Aber in ihrem innersten moralischen Gewissen kom-
men die meisten als „andre Menschen" zurück. Fremd kehren sie heim
ins Vaterhaus. Wenn gezeigt wurde, wie leicht man als Soldat dazu-
kommen kann, gegen seine Aberzeugung in Dingen der Alkoholenthaltsam-
keit zu handeln, so soll natürlich damit nicht etwa gesagt werden, man
könne den innern Wert eines Menschen irgendwie genügend an seiner
Stellung zur Alkoholfrage messen. Aber das Fallenlassen dieses einen
Ideales ist bemerkenswert als Kennzeichen einer größeren Bewegung und
Sinnesänderung, als ein Symptom. Die Alkoholenthaltsamkeit war eine
kultische Forderung in dem neuen Glauben der neuen Iugend. Und
weiter: Die Kenntnis der Alkoholfrage ist die gleiche geblieben, vielen,
den meisten wird die Kenntnis der Alkohol not sogar größer und lebendiger
geworden sein. Aber sie haben sich der Stellungnahmeder Allgemein-
heit der Gebildeten in diesem Punkte angeglichen.

Diese stellt sich wohl etwa so: Die Alkoholnot ist da, kein Itrteils-
fähiger kann leugnen, daß sie sogar recht groß ist. Durch persönliche
Enthaltsamkeit könnte ich wohl ein ganz, ganz klein wenig mithelfen, das
deutsche Volk von dieser Not zu befreien. »Eigentlich« müßte man ja
dieser Pflicht genügen und keinen Dienst für zu klein halten, als daß er
nicht dem Vaterlande geleistet werden müßte. Aber — »man kann doch
nicht immer so philisterhaft moralisch sein«. An unserer Vaterlandsliebe
darf inan doch trotzdem nicht zweifeln. Es paßt uns nicht, immer gar zu
vernünftig zu sein. Man muß auch einmal »dem Augenblick gehorchen«.

Für den Augenblick zu sorgen, und in diesem Augenblick für sich selbst
zu sorgen, gerade das haben freilich die Feldsoldaten gelernt in ihrem
eintönigen Leben des Wartens und Wartens in Kaserne, Schützengraben
und Lazarett. '' > > ^ ^ ^

Die Iugend hat im allgemeinen mehr als das Alter von der sokratischen
Tugend, ihr Handeln nach ihrer Erkenntnis einzurichten. Darin werden
nun die jungen Menschen, die in den Krieg gingen, guten Teils unjugend-
lich geworden sein. Sehr viele werden gelernt Haben, sich mit den Idealen
zu begnügen, die weniger Auannehmlichkeiten machen als beispielsweise
die Akoholgegnerschaft. Sie werden den Mut zu dem alltäglichen Klein-
kampf verloren haben. Ich glaube so viele junge Leute zu kennen, an
denen solch innerer Wandel zu beobachten war, daß ich leider in diesem
Punkte verallgemeinern darf und muß. Soldatenmut und „Zivilkourage^
sind verschiedene Dinge, das eine kann gedeihen, während es mit dem
andern bergab geht. Mir kommt es mitunter so vor, als sei es leichter,
durch feindliches Feuer zu gehen, als in unsrer kleinen Eitelkeit das
spöttische Lächeln der anderen zu ertragen.

Die deutsche Kulturstimmung der letzten Iahrzehnte war voller Sehn-

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