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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,4.1916

DOI Heft:
Heft 20 (2. Juliheft 1916)
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Herter, H.: Gobineau
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https://doi.org/10.11588/diglit.14294#0091

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Gobineau

W

äre Graf Arthur Gobineau, der in diesem Iuli hundert Iahre alt
würde, nur der Dichter der „Renaissance", so dürften wir nns
heüte mit dem kurzen Hinweis begnügen, daß diese edlen und
gehaltreichen dramatischen Austritte seit Iahren zum Besitz des deutschen
Volkes gehören; wenn auch kein großes Theater sie im Spielplan führt,
so beweisen die zahlreichen deutschen Ausgaben des Werkes doch, wie ver-
ständnisvoll man ihm in Dentschland begegnet ist. Aber in Wahrheit übt
Gobineau eine weit tiefergehende Wirkung aus, als sie ihm als Dichter
allein beschieden sein konnte. Er ist der Vater einer großen Bewegung,
deren Inhalt die Beschäftigung mit Rassefragen bildet. Während noch
Herder das Wort „Menschenrassen" sür unedel erklärte, suchte Gobineau
mit seinem zweibändigen „Essai sur l'inegalite des races humaines" (s853)
nicht mehr und nicht weniger zu geben, als die letzte, tiefste, alles umfassende
Einsicht in das Wesen der menschlichen Geschichte. Das ganze Schicksal
des Menschengeschlechts liegt nach seiner Meinung offen vor dem Blick, den
er geschärst hat. Zu dem einen Grnndgedanken, daß allein die Erforschung
der Rasse solche Ausschlüsse geben könne, gesellen sich in Gobineaus Ver--
such als wichtigste die folgenden: es gibt drei Rassen, die schwarze, die
weiße und die gelbe; innerhalb ihrer entstehen Varietäten; durch Mischnng
entsteht jene rassisch unreine, „degenerierte" Erdbevölkerung, die wir heute
meist um uns gewahren; kulturfähig ist allein die weiße Rasse, die aber
dnrch die „Chemie der Rassen", dnrch Mischung, ebenfalls bereits dem
Ende ihrer Kultur entgegengeht. Daher lagert ein hoffnungloser Pessimis-
mus über Gobineaus Denken, wenn er auch durch die streng katholische
Gesinnung des Verfassers und die Fülle seiner Ideen gemildert erscheint.
Sein Werk hat nicht auf den ersten Schlag so großen Eindruck gemacht;
er vertiefte sich erst im Laufe von sechzig Iahren. Erst ganz allmählich
schloß sich eine größere, zuletzt lawinenhaft wachsende Bewegung daran an.
Wie es dazu kommen konnte, ist nicht mit einem Wort zu erklären. Der
Einwirkung, die Gobineau ansüben mochte, steht seit Iahrzehnten die
Gegenwirknng der Wissenschaft gegenüber, die seine Grundsätze ebenso wie
zahlreiche seiner einzelnen Begründungen ablehnt. Eine große Reihe streng
denkender, eindringlich forschender, mit wesentlich genauerem Wissen und un--
vergleichlich feinerer Methode arbeitender Gelehrter, die zum Teil wie Ratzel,
Virchow und andere Weltruf genossen, haben für die wissenschastlichen
Kreise Gobineans Arbeit als einen ersten Versuch längst gekennzeichnet,
dem man mit Achtung begegnen, den man aber nicht mehr lesen kann,
um Geltendes über Rassefragen zu erfahren. Trotzdem konnte noch gegen
Ende der neunziger Iahre dieser Versuch, als er in deutscher Sprache er--
schien, einen unleugbaren starken Erfolg erringen. Soziologisch wird man
das auf mehrere Ursachen zurückführen müssen. Durch mehrere Schrift--
steller (u. a. der antisemitischen Bewegung), die sich weniger wissenschaft-
lich als volkstümlich und agitatorisch gaben, war das Interesse Vieler auf
Rassefragen hingelenkt, denen zu ihrer kritischen Beurteilung die Vor--
kenntnisse fehlten und die zudem die „Rasse als Erlebnis^ gemütlich stark
bewegte. Ferner stand der Wagnerische, der Bayreuther Kreis mit seinem
ganzen Linsluß den Gobineauschen Ideen zur Seite; Ehamberlains „Grund--
lagen" sind nicht das erste, aber das stärkste Zeugnis davon. Die eigent--
liche Wissenschaft aber ließ es hier, wie so oft, an einem allgemeinverständ--

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