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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,4.1916

DOI Heft:
Heft 22 (2. Augustheft 1916)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Deutsche Mode oder deutsche Typentracht?
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https://doi.org/10.11588/diglit.14294#0172

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Deutsche Mode oder deutsche Typentracht?

^^»n der Kulturentwicklung Lauchen bekanntlich manche Erkenntnisse mit
^ C der Plötzlichkeit eines jähen Widerspruchs auf; irgendein Gehirn
^Fschafft durch Rede oder Handlung „das erlösende Wort^ und macht
damit den Andern, den Vielen bewußt und anerkannt, was bisher in
ihrem Unterbewußtsein Heranreifte. Fehlt aber der erhellende Kopf oder
kommt er nicht schnell zur Geltung, so geht die allgemeine Klärung im
Ringen der Vielen oft erstaunlich langsam, indem sich die Kräfte zunächst
durch- und gegeneinander mit Suchen und falschen Zielsetzungen ab-
mühen. Mir scheint, unserer deutschen bildenden Kunst geht es gerade jetzt
so. Und ganz gewiß ist es so nnsrer angewandten Kunst gegangen. Die
Entwicklung tat bei ihr unter aufklärenden und agitatorischen Beihilfen
zunächst ein paar „Schüsse", dann kam innerhalb der neuen Richtungen
das langsame arbeit-, streit- und abwegreiche Wegsuchen mit Reuten
und Bahnen. Ich brauche nur an den scheinbaren Gegensatz von „indivi-
duellen" und „typischen" Bauten, von „Künstler-" und „Maschinen-
Möbeln" zu erinnern. Und wie steht's bei Tracht und Mode?

In denr Aufsatz, den Gertrud Bäumer eben gegen Stapels Bemer-
kungen „Modejammer und politische Reife" (Kw. XXIX, W in der
„Hilfe^ (29) geschrieben hat, heißt es hinsichtlich der Mode in ästhetischer
Beziehung: „Die Mode ist die jeweilige Einheitsform der Kleidung. Ihre
Einheitlichkeit ist zunächst ästhetisch begründet. Und zwar subjektiv darin,
daß nicht alle, die Kleider Lragen oder herstellen, selbst imstande sind,
ihre Form zu erfinden, sondern das an wenigen Stellen Erfundene nach-
ahmen. Objektiv darin, daß Millionen von kunterbunten willkürlichen
Eigenkleidern nicht schön wären, so wenig wie eine Straßenflucht von
fünszig schrankenlos individuellen Häusern schön wäre. Da die mensch-
liche Gesellschaft nicht eine Summe unzusammenhängender Insulaner,
sondern eine Gemeinschaft ist, gibt sie dieser ihrer Zusammengehörigkeit
^ auch den ästhetischen Ausdruck. Aber die Mode hat auch ihre wirtschaft-
liche Notwendigkeit in den großindustriellen Herstellungsformen. Roman-
tische Astheten mögen bedauern, daß dieselbe Iacke tausendmal hergestellt
wird, sie werden es aber mit diesem Bedauern nicht möglich machen, daß

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