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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,4.1916

DOI Heft:
Heft 24 (2. Septemberheft 1916)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Geschichtliche Romane
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https://doi.org/10.11588/diglit.14294#0278

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GeschichtLiche Nomarre

den verwickeltsten Gebilden des deutschen schönen Schrifttums gehört
>>Lder geschichtliche Roman. Sein Bereich scheint so klar abgegrenzt
^ Idnrch das Stoffliche wie kaum der Bereich irgendeiner anderen Gat-
tung. Aber innerhalb der Grenze gewahrt man Verschiedenheiten, wie sie
stärker wiederum kaum im Gesamtbezirk der Prosa zu finden sind. Stil
und Absicht, Geist und Auschauung der Dichter geschichtlicher Prosa sind
so weit voneinander verschieden, daß zwischen manchen ihrer Werke kaum
eine Ähnlichkeit bleibt. Hier treibt einen nur dle Fülle der wissenschast-
lich erworbenen, der angelesenen Gesichte, und mit naiver Erzählerlust
gibt er Kunde davon; da will ein andrer, der Geschichte als Gleichnis, als
den Hort alter guter Art auffaßte, seinem Volk deren inneren Wert ver-
anschaulichen; ein dritter will einer sittlichen Macht Dasein erweisen; einen
vierten zog ein Vereinzeltes, eine hohe Gestalt der Vergangenheit, ein be-
stimmter Kreis von Lebensordnungen an, die er als Symbol darstellt; reli-
giöse Weltanschauung offenbart ein fünfter, indem er die Zeiten religiöser
Kriege als solche tiefster religiöser Kräste veranschaulicht; Weltanschauung
ist das innere Thema des sechsten; und so könnte man fortfahren bis zu
einem achten oder zehnten und dann nach Art der Kombinationsmathe-
matiker aus den einfachen Möglichkeiten a, b, c, d, e, f, g, h, i, k zu-
sammengesetzte erschließen: a^f^-h, b-st h-st i-^-k, c^-d und so weiter.
Und für alle die Hunderte von Möglichkeiten würde die Weltliteratur,
würde wahrscheinlich schon allein das G- Iahrhundert unsres Schrifttums
bis zur Gegenwart mindestens ein Beispiel bereitstellen. And doch wären
das noch immer nur Gesichtpunkte des Inhalts und Gehalts,- die mancher-
lei Arten des Erzählens ergäben neue Unterteilungen und neue Kombi-
nationen. Denke man sich einen Roman, der ganz auf der Bildung großer,
fruchtbarer, den Kern der Erzählung weiterbildender und doch knapper Auf-
tritte beruht wie C. F. Meyers „Iürg Ienatsch" neben Ricarda Huchs
„Großem Krieg", diesem Typus einer Filigran- und Mosaikdichtung, die
farben- und zwischentonreiche Erzählung Tiecks neben der scharf gezeich-
neten, bei aller Breite dem Sachlichen und Ereignishaften zugewandten
Härings, so veranschaulichen sich dadurch künstlerische Typen von größter
Anterschiedlichkeit. Und diese ganze Gattung ist trotz alledem nur ein
Nebenfluß des großen Stromes der „Entwicklung". Kaum je hat Geschicht-
liches als Stoff auch nur die deutsche Prosa wirklich beherrscht,- viele der
Größten, viele Bedeutsame, von Goethe über Hoffmann, Keller, Storm,
Stifter bis zu M. v. Ebner, Rosegger, Fontane, Mann, Keyserling haben
sich nie oder nur gelegentlich einmal der Geschichte zugewandt. Eine
gattungeigne Stilentwicklung wird man hier nicht seststellen. „Klassiker"
schrieben „klassische" geschichtliche Erzählungen, „Romantiker" blieben auch
auf diesem Gebiet „romantisch^, „Realisten^ erzählten Geschichtliches so
„realistisch" wie Gegenwärtiges. And das Gleiche erleben wir heute. Wie
wir in diesem Iahrzehnt alle Stilarten in der Kunstprosa überhaupt neben-
einander gepflegt sehen, so tauchen alle auch 'im geschichtlichen Roman
auf. Dem Kritiker legt jedes neue Werk dieser Art von neuem die Ver-
pflichtung auf, alle Einzelheiten seines Wesens gesondert zu bestimmen.

(A

Daß seit fünf oder zehn Iahren der geschichtliche Roman wieder öfter
auftritt als im Iahrzehnt vorher, ist nun schon allbekannt. Auch der

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