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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,4.1916

DOI Heft:
Heft 24 (2. Septemberheft 1916)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Geschichtliche Romane
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https://doi.org/10.11588/diglit.14294#0279

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weitherzigste Kritiker muß heute schon strenger auswählen, wenn er dem
Wichtigeren gerecht werden will. Zu diesem rechne ich persönlich Walter
von Molos vierbändigen Schiller-Roman, der, vor mehreren Iahren
begonnen, während des Krieges endlich seinen Abschluß gefunden hat
(vgl. Kw. XXVI. Iahrg., Heft ((). LLin Werk, über das man sich viel streiten
kann. Offensichtlich geboren aus einer tiefen, heiß leidenschaftlichen Liebe zu
der echten Gestalt des Dichters, durchgeführt mit einer seelischen Anspan-
nung, die aufwühlend aus dem Ganzen spielt, und doch nicht so innerlich
reich, wie Stoff und Gestalterabsicht erwarten ließen, steht das Werk vor
uns als ein scheinbar vollendetes und scheinbar innerlich doch nicht ab-
geschlossenes. Wenn das Problematische dieser Arbeit auf eine Formel
gebracht werden darf, so scheint mir diese geboten: Molo ist „Impressionist"
der Erzähltechnik, und diese persönliche Art gewinnt dem gegebenen Stoff
nicht sein Alles, wenn auch manches von seinem Tiefsten ab. Er „sieht"
Schillers Leben in einzelnen Bildern, die er wenig verbunden nacheinander
hinzeichnet. Und er sieht nach Art der modernen Impressionisten viel
„Außerliches", viel von den Lebensumständen, von Vaterhaus und Er-
zieherungeschick, von Geldverhältnissen, Krankheitsunglück, Lhenöten und
-alltäglichkeiten, von störendem Lärm der Außenwelt, vom verzehrenden
Kleinkampf um das bloße Dasein, von allerlei Bekannten, tzalbfreunden
und Viertelfeinden, vom Elend schlechter Wohnungen und Kleidungsstücke,
vom Sinnlosen des „Zufalls". Damit zeigt er Schiller im aufreibenden
Kampf; so sehr fesselt ihn dieser Anblick, daß er keinen einzigen wichtigen
Auftritt bildet, in dem Schiller nicht der Mittelpunkt wäre. Eine lange
Folge von Bildern aus Schillers „Kampf ums Dasein" beherrscht wohl
gut drei Viertel des Romans. Nun geht der Kampf des Dichters aber
schließlich nicht nur ums bloße Dasein. Die Hauptgestalt brauchte nicht
Friedrich Schiller zu sein, wenn es nur gälte, die Alltäglichkeit einer
Schriststellermühsal zu zeigen. Aber, das gewaltige Innenleben einer
großen Persönlichkeit anschaulicher zu machen, dazu mangelt es nun
Molo an — Raum. Trotz der vier Bände; nur einen Bruchteil der
geistigen Entwicklung, des Gedankengehalts in diesem Leben wird man in
diesem Roman nacherleben. Wenn es überhaupt möglich ist, geistige
Größe und geistige Inhalte einer Persönlichkeit dichterisch zu veranschau-
lichen, so kann es wohl nur geschehen dadurch, daß der Leser der geistigen
Atmosphäre inne wird, in der die Persönlichkeit wird und wirkt. Nnd
diese verkörpert sich in. den Zeitgenossen. Aber bei Molo kommen die
Zeitgenossen Schillers kaum zur Geltung; manche Bedeutende, wie tzerder,
Wieland, Karl August, Fichte „bekommen" nur eine oder zwei kurze
Szenen, werden gar nicht Gestalt, gar nicht zu Trägern eines geistigen
Gehalts, sondern wirken nur mit an der Abwicklung äußeren Geschehens.
Einzig Goethe erscheint als geistig-seelische Macht, und auch er nur
dann, wenn er gerade in aktueller Berührung mit Schiller ist, meist in
Gesprächen. Da liest man denn manch edles tiefes Wort, man erlauscht
aus Gesprächen und Selbstgesprächen das Werden eines geistig Großen;
aber wiederum nur mühsam, denn sie sind konzentriert bis zur formel-
haften Dunkelheit, schließen sich nicht zur deutlich sichtbaren Werdens-
geschichte. Wir sehen Höhe- und Wendepunkte, aber eine kultürlich-
geistesgeschichtliche Atmosphäre vereinheitlicht sie nicht. Hierin erblicke
ich das letztlich Nnbefriedigende des Werkes. Was bleibt, genügt ab?r,
um ihm eine Sonderstellung noch immer zuzuweisen. Nicht nur wegen

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