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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,4.1916

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Heft 21 ( 1. Augustheft 1916)
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Jentsch, Carl: "Arbeitgeber" und "Arbeitnehmer"
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14294#0150

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und auch der geistige Arbeiter braucht sich der Benennung nicht zu
schämen, wenn er einem Unternehmer dient. Und will man den Unter--
nehmer, wie in älterer Zeit, den Brotherrn nennen, so kann auch das
nichts schaden. Weit entfernt davon, daß das Verhältnis von Herr und
Knecht die Menschenwürde beeinträchtigte, ist es vielmehr, wenn es ist,
wie es sein soll, gut und schön. Odysseus und der Sauhirt, Abraham
und Elieser, Tellheim und Iust sind edle Persönlichkeiten und wirken
ästhetisch. Was ist dagegen Edles und Schönes an einem Vertrag-
verhältnis, das jeder der Kontrahierenden dazu benutzen will, auf Kosten
des andern für sich Vorteile herauszuschlagen? An einem Verhältnis,
in welchem keiner für den andern eine menschliche Empfindung hegt, von
Liebe, Anhänglichkeit, Fürsorge, Dankbarkeit, Treue keine Rede ist? Am
Unternehmer, der den Lohnarbeiter aufs Pslaster setzt, wenn's die Kon-
junktur so mit sich bringt, am Arbeiter, der fortläuft, sobald anderswo
eine Mark mehr an Lohn winkt? Freilich dars man die Entwicklung auch
in dieser Beziehung nicht rückgängig zu machen versuchen, weil die Schön-
heiten des patriarchalischen Verhältnisses vom Charakter des Herrn ab-
HLngen, und dieser nur ausnahmsweise so edel zu sein Pflegt, wie es zur
richtigen Gestaltung des Verhältnisses notwendig ist, während das Ver-
tragverhältnis in den Staaten, deren Gesetzgebung den Lohnarbeiter schützt,
diesem sein Menschentum wenigstens außerhalb der Arbeitzeit sichert.

Außerhalb der Arbeitzeit! In den schöpferischen Berufen, im Berufe
des Künstlers, des Forschers, des Staatsmanns, des Lehrers, des Kunst-
handwerkers, des Bauers, des GLrtners ist es die Berufsarbeit selbst, die
zum vollen Menschentum verhilft; daß dieses bei der Maschinenbedienung
nicht der Fall ist, daran kann keine Gesetzgebung etwas ändern. ^

Earl Ientsch

Vonr tzeute fürs Morgen

Sle heitzen es: Frommseim

enschen, aus deren Munde wir
niemals das Wort „Gott" ver-
nommen hatten, hören wir jetzt mit
Nachdruck sagen: „Gott beschütz' ihn
mir!^ — „Gott wird uns helfen!"
— „Wenn Gott uns den Frieden
schenkt!" — Die Leute drängen in
die Kirchen, wie in Rettungsboote
zur Stunde der drohenden Gefahr.
„Wird es uns helfen?" fragt einer,
„werden wir die Küste erreichen?" —
Die andern rufen zurück: „Vielleicht
auch nicht! Aber man dars nichts
unversucht lassen!"

Es gibt so manchen, namentlich
im Lager der Kirche, der aus diesen
Zeichen der Zeit der Religion trium-
phierend die Stunde der Wiederge-
burt, der neuen Macht über die

Menschenherzen weissagt. Haben
diese Propheten recht? — Fragt sie
doch selber, die Religion! Was sagt
sie dazu? Breitet sie all den Tau-
senden, die ihr der Krieg zuscheucht,
die Arme so weit und sreudevoll ent-
gegen, wie es die Kirchen tun?

Sie ist ein Rätselwesen. tzoch
und schweigsam wie ein Berg. Im
schwarzen Urgrund der Erde wur-
zelnd, mit reinen Schneeschwingen
an die blaue Unendlichkeit des Him-
mels rührend. So ragt sie mitten
unter uns, nah wie eine tzeimat,
und doch vielen, allzuvielen fremd
wie die fremdeste Wunderinsel. So
ragt sie und wartet. Tausend und
abertausend Iahre.

Es gab eine dumpfverworrene
Zeit; da war sie von den Men-
 
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