DOI Heft:
Heft 21 ( 1. Augustheft 1916)
DOI Artikel:Avenarius, Ferdinand: Der Krieg als Aufklärer: zum 1. August 1916
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.14294#0128
Der Krieg als Aufklärer
Zum 1. August 1916
»«^wei Iahre Krieg. Und bei seinem Ausbruch las und hörte man doch,
^^mehr als ein paar Monate könnten's die Völker nicht aushalten.
E^Monate? Die da drnben meinten, in den ersten Tagen schon sollten
von den französischen Fliegern unsre Rheinbrücken zerstört, von den eng-
lischen Kanonen unsre Häfen samt den Schiffen darin erobert sein,
und die russische Dampfwalze sollte auch nur ein paar Wochen brau-
chen, um über Ostdentschland nach Berlin zu kommen. Manche Sorgen,
die uns damals bedrückten, muten uns heute wie schwere, aber dumme
Träume an. Als jedoch die ersten deutschen Hiebe geblitzt hatten, da zuckteu
durch uns auch Hoffnungen, die sich nicht erfüllt haben. Anders zeigle
sich vieles im eigenen Volk, anders vieles in den Völkern um u.^, anders
manches über die ganze Erde hin, als wir gedacht hatten. Anders —
dieses Wort gab dem Bilde der Zeit überall das Zeichen. Und über Sorgen
und Hoffnungen hinaus wuchsen allmählich oder erstanden in Plötzlichkeit
die E r k e n n t n i s s e.
Der Krieg als Aufklärer. Dürfen wir ihn nicht einmal s o betrachten?
Aber wie vieles im Wesen aller beteiligten und so vieler nicht beteiligten
Völker und ihrer Beziehungen hat erst der Krieg die Klarheit gebracht!
Äber wie vieles und über wie Wichtiges! Für Selbsterkenntnis
und Weltkenntnis hat uns der Krieg Aufklärungen ge-
bracht, wie sie auf irgendwelchem andern Wege niemals
erbracht werden konnten. Alles, was wir darüber dachten und
versuchten, es verhielt sich dazu wie der Plan zum Bau, wie die Theorie
zur Praxis, bestenfalls wie das Manöver zum Ernstfalle.
X^ätte uns einer vor ein paar Iahren gesagt: ihr und Ssterreich werdet
^euch halten gegen Frankreich, Rußland, England, Italien, Iapan und
noch die Kleineren, trotzdem sie euch die Nahrung sperren und trotzdem ihnen
auch Amerika die Waffen schmieden und liefern wird — hätten das die
unter uns geglaubt, die nicht bloß schwärmen, sondern denken? Und wär
uns gesagt worden: trotz all dem werdet ihr nach zwei Iahren noch so
l- Augustheft l9l6 (XXIX, 2,)
X
Zum 1. August 1916
»«^wei Iahre Krieg. Und bei seinem Ausbruch las und hörte man doch,
^^mehr als ein paar Monate könnten's die Völker nicht aushalten.
E^Monate? Die da drnben meinten, in den ersten Tagen schon sollten
von den französischen Fliegern unsre Rheinbrücken zerstört, von den eng-
lischen Kanonen unsre Häfen samt den Schiffen darin erobert sein,
und die russische Dampfwalze sollte auch nur ein paar Wochen brau-
chen, um über Ostdentschland nach Berlin zu kommen. Manche Sorgen,
die uns damals bedrückten, muten uns heute wie schwere, aber dumme
Träume an. Als jedoch die ersten deutschen Hiebe geblitzt hatten, da zuckteu
durch uns auch Hoffnungen, die sich nicht erfüllt haben. Anders zeigle
sich vieles im eigenen Volk, anders vieles in den Völkern um u.^, anders
manches über die ganze Erde hin, als wir gedacht hatten. Anders —
dieses Wort gab dem Bilde der Zeit überall das Zeichen. Und über Sorgen
und Hoffnungen hinaus wuchsen allmählich oder erstanden in Plötzlichkeit
die E r k e n n t n i s s e.
Der Krieg als Aufklärer. Dürfen wir ihn nicht einmal s o betrachten?
Aber wie vieles im Wesen aller beteiligten und so vieler nicht beteiligten
Völker und ihrer Beziehungen hat erst der Krieg die Klarheit gebracht!
Äber wie vieles und über wie Wichtiges! Für Selbsterkenntnis
und Weltkenntnis hat uns der Krieg Aufklärungen ge-
bracht, wie sie auf irgendwelchem andern Wege niemals
erbracht werden konnten. Alles, was wir darüber dachten und
versuchten, es verhielt sich dazu wie der Plan zum Bau, wie die Theorie
zur Praxis, bestenfalls wie das Manöver zum Ernstfalle.
X^ätte uns einer vor ein paar Iahren gesagt: ihr und Ssterreich werdet
^euch halten gegen Frankreich, Rußland, England, Italien, Iapan und
noch die Kleineren, trotzdem sie euch die Nahrung sperren und trotzdem ihnen
auch Amerika die Waffen schmieden und liefern wird — hätten das die
unter uns geglaubt, die nicht bloß schwärmen, sondern denken? Und wär
uns gesagt worden: trotz all dem werdet ihr nach zwei Iahren noch so
l- Augustheft l9l6 (XXIX, 2,)
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