Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,4.1916

DOI Heft:
Heft 24 (2. Septemberheft 1916)
DOI Artikel:
Witte, Johannes: Die Toleranz des Islams
DOI Artikel:
Vom Heute fürs Morgen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14294#0299

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
zender ihre politische Machtstellung war. Mit dem Sinken ihrer Macht —
das gilt auch von der Türkei — kam die Not und der Haß gegen die Be-
dränger oft leider auch zum Amsdruck in einem Abweichen von der so
schönen und lang bewährten Tugend der Toleranz. Doch konnte noch im
s8. Iahrhundert ein Europäer nach zweiundzwanzigjähriger Gefangenschaft
in der Türkei den Türken das Zeugnis ausstellen: „sie zwangen niemand,
seinen Glauben zu verlengnen".

Dies Zeugnis gilt von ihnen im großen auch heute noch, wenn freilich
jetzt böse Dinge zu nennen wären, die zeigen, daß die alte, hochstehende
Toleranz des Islams heute in der Türkei nicht mehr Wirklichkeit ist. Aber
die Türkei ist nicht der Islam. Es gibt etwa 230 Millionen Mohamme-
daner auf der Erde, und von ihnen wohnen nur bis j2 in der Türkei.

Der Islam ist keine absterbende Religion. Er gewinnt an Anhängern.
In Holländisch-Indien und noch mehr in Afrika treibt er durch Anter-
richt und Predigt eine starke religiöse Missionsarbeit, die besonders nnter
den primitiven Völkern Afrikas große Erfolge hat. So breitet er seine
Religion auch heute noch nur mit gütlichen Mitteln aus. Zur Auf-
rechterhaltung ihres politischen Bestandes kämpst die islamische Tür-
kei mit den Waffen an unserer Seite im „heiligen Krieg".

Iohannes Witte

Vom tzeure fürs Morgen

Der zehnte Feind

(Xb Rumänien in den Krieg nur ge-
^schoben wnrde oder ob Spekula-
tion auf einen glücklichen Ausgang
des Abenteuers den tzauptanteil an
seiner Kriegserklärung hat, Tatsache
ist, daß nach mehr als zwei Iahren
des grauenhaftesten aller Kriege, die
je durch die Welt wüteten, es immer
noch Menschen über sich vermögen,
in den Bannkreis dieser Hölle zu
treten und mit eigenen Händen an
dem Zerstörungswerke teilzunehmen.
Ein winzig Quentchen Hoffnung
wiegt oft einen Berg voll Furcht und
Grauen auf: lieber die Schrecken
des Krieges mit Hoffnung auf Erfolg
als eine Neutralität ohne Hoffnung.

Suchen wir uns einen Augenblick
einen Standort draußen im Welt-
raum und blicken auf diesen Plane-
ten, dessen Völker in Aufruhr ge-
raten sind und Hunderttausende
töten mit allen Schrecknissen, die sie
der Natur abzwingen konnten. Im-
mer neue Scharen stürzen hinzu,
immer weiter dehnt sich das Kriegs-

seld. Es ist wie ein Brand, der
über die Länder wütet. Wohl baut
man Dämme dawider, aber plötzlich
springt das Feuer hinüber und fegt
sengend über die Fluren. Wird dies
die letzte Ausbreitung sein, wie die
Flamme vor dem Zusammensinken
noch einmal aufzulodern Pflegt? Oder
wird der Brand über alle Dämme
hinweg weiter von Volk zu Volk grei-
fen? Ist es der Welt bestimmt, daß
die stolze westeuropäische Mensch-
heit ganz durch diesen Krieg hin-
durch muß? Zur Läuterung oder zum
Verderben? Die Gedanken fragen
und fragen, aber kein Menschenhirn
kann dieses Schicksal deuten. Es er-
greift uns, aber wir fassen nicht, was
es bedeutet.

Ls hat keinen Sinn, berechnen zu
wollen, was nicht zu berechnen ist,
fassen zu wollen, was unsaßbar ist.
Kein Rechnen, Erwägen, Aberlegen
kann uns klar machen, welche Stel-
lung wir zu diesem immer weiter sich
dehnenden Weltaufruhr zu nehmen
haben. Was immer man erdenkt,

252
 
Annotationen