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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,4.1916

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Heft 20 (2. Juliheft 1916)
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Avenarius, Ferdinand: Kriegs-Kitsch
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https://doi.org/10.11588/diglit.14294#0094

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Kriegs-Kitsch

>^^eginnen wir mit einer Probe davon, bis zu welcher „Unsolidität"
'yV-Hund bis zu welchem Grade von Vortäuschung man sich heute bei
^-^Unternehmungen mit vaterländischem Zweck für berechtigt hält. Vor
uns stehen als Wandbilder zwei Farben-Autotypien Hindenburg und
Mackensen. Hier ist das Papier über einen Abklatsch nach der Ölfarben-
vorlage gepreßt, so daß alle Pinselstriche körperhaft kommen, dann ist es auf
Stoff geklebt, nun lackiert und schließlich auf hölzerne Blendrahmen ge-
zogen. Also die niedrigste Imitation, die sich denken läßt: die unmittelbar
aus Täuschung, auf Betrug des Auges berechnete. Sieht man nicht genau
hin, so hält man die Farbenautotypie auf Papier für ein handgemaltes Ol-
bild auf Leinwand, kann man doch den Pinselstrich sogar mit der Hand
fühlen. Vor dem Krieg hätte in ein anständiges Bürgerhaus kein Bettel-
kolporteur mit derlei kommen dürfen. Ietzt verschickt es ein unanfechtbar
anständiger patriotischer Verein massenhaft in die Häuser. Er hat sicher
keine Ahnung davon, was er tut, wenn er in dieser Weise den Zweck das
Mittel heiligen läßt.

Was nun die angebliche „Kunst" betrifft, das Bilden mit an sich ein-
wandfreien Mitteln, so ist der Kriegs-Kitsch der Papierläden nur der am
schnellsten erkenntliche, ob er der schlimmste, ist eine andere Frage. Selbst
in den großen farbigen Steindruckfolgen, bei denen mit Recht sehr ge-
achtete Namen beteiligt sind, blüht jetzt Kitsch. Nnd die „Originalillustra-
tionen" unserer Familienblätter, soweit sie nicht einfach Photographien
sind, verdienen in ihrer überragenden Mehrzahl bei uns so wenig wie
im Ausland einen edleren Namen.

Was nennen wir denn Kitsch?

„Dilettantenzeug" besagt nicht dasselbe. Ls gibt nichts Dilettantische-
res als etwa eine Schulkind-Zeichnung, hat sie aber ein begabtes und eis-
riges Kind gemacht, das sich noch unbefangen gehen ließ, so wirkt sie ganz
sicher nicht als Kitsch. Es gibt dilettantischen Kitsch und gibt höchst ge-
schickten, Höchst „routinierten". „Routine" und „Manierismus", das besagt
ja auch wieder etwas anderes als „Kitsch", denn man kann sehr routiniert
und sehr manieristisch und dabei doch gar nicht kitschig sein, wenn man
nur an seiner Routine und an seiner Manier persönliche Freude hatte.
Bei Kitsch fehlt die innere Beteiligung, während man
doch tut, als sei sie da. Kitsch entsteht, wenn man den Leuten geben
will, was sie haben wollen, und das doch erst aus ihnen nehmen muß,
weil man es selber nicht hat. Denkt und fühlt einer wirklich mit dem
Volke, so macht er keinen Kitsch, sondern Volkskunst. Kitsch sucht mit dem
zu suggerieren, womit sich der Kitschier erst selber zu suggerieren sucht.
Kitsch ist also niemals Ausdruck, immer Phrase. Gleichviel, ob irgendein
Mann mit oder ohne Namen Geldverdienens halber für den Kunsthändler
gangbare Bilder verfertigt, bei denen er vielleicht die empfundene und
geschaute „eigene Note" seiner eigenen besseren Sachen nun teilnahmlos
wiederholt, wie der Modemaler, der anfangs mehr war, oder ob er in
irgendeines Geschäftsmannes Auftrag „Konjunktur ausnutzende^ „Kriegs-
artikel" liefert.

Es ist mir nicht im geringsten zweifelhaft, daß wir aus diesem Kriege
auch echte Kriegskunst gewinnen werden. Ich bin sicher, wir haben sogar
schon welche. Wo? In den Herzen, in den tzirnen, im Gefühl echter

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