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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,4.1916

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Heft 20 (2. Juliheft 1916)
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Avenarius, Ferdinand: Kriegs-Kitsch
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https://doi.org/10.11588/diglit.14294#0095

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Künstler und in ihrer Phantasie. Auch auf hingeworfenen Postkarten-
grüßen habe ich schon welche gesehn und auf flüchtigen Skizzenblättern
aus dem Feld. In Keimen. Aus Unscheinbarkeiten, die auf einer Kunst-
ausstellung und in einer Zeitschrift nur einer von hundert Besuchern über-
haupt beachten würde, blickt plötzlich den sich Einfühlenden das Erleb-
nis „Krieg" an. Daraus allein wird werden, was überhaupt an Kriegs«
kunst werden kann, vielleicht in nicht langer Zeit, vielleicht erst später und
vielleicht durch Menschen, die als Künstler jetzt noch völlig unbekannt
sind. Es braucht Zeit, bis aus dem Durcheinanderschreien, dem Durch-
einanderdrängen, dem Ineinanderschneiden all dieser wuchtigsten Wirk-
lichkeit sich das ganz herauslöst, was dem Einzelnen Kern des neuen Leben-
digen ist. Es braucht Zeit, bis das Nebensächliche, das zunächst vielleicht
wuchernd vor dem Wesentlichen steht, welkt und vermodert. Braucht Zeit,
bis jener Keim treibt, sich von dem Moder nährt, und als Eigengebilde
ans Licht wächst.

Aber eben: die Konjunktur. „Kriegsartikel" werden ja jetzt „gefragt".
Der Geschäftsmann „animiert" und der Künstler „will leben". Der Tages-
marktwert macht sich geltend.

„Gefragt" ist, was allen Hinz und Kunz gemeinsam ist. Intellektuell
genommen: das Leichtestverständliche, gefühlsmäßig genommen: das Ba-
nale, sprachlich ausgedrückt: die Phrase. Nennen wir so das'Ding beim
rechten Namen, so setzen wir unser Volk damit nicht herab. Für den Ge-
nießenden im Volk braucht das Oberflächliche, das Banale, das Phrasige
nicht oberflächlich, banal und phrasenhaft zu sein. Für den weltfremden
Mann aus dem Volke kann dies Ballettfräulein da, das dem Gefallenen
da einen Lorbeerkranz aufpaßt, so gut die echte Todesgöttin sein, wie
dem reifenden und reinen Iüngling die Dirne eine keusche Iungfrau, der
er das Beste seiner Seele weiht. Er gibt dann eben von sich. Aber
die Erziehnng zum Kunstgenusse hat doch wohl auch den Sinn: daß sie
vor solchem Sichwegwerfen schützen will. Wiederholt es sich, so führt es
beim Volk ja meistens zu Einem vonZweierlei. Entweder: man wird durch
die Erkenntnis enttäuscht, beschämt, und wendet sich von der Kunst über-
haupt als von einer schönen Lügnerin ab. In diesem Falle bleibt man
den bereichernden Äbermittlungen der echten Lrlebnisse durch Kunst eben
unzugänglich. Oder aber: man sieht sein inneres Echtes dauernd in das
Nnechte der Scheinkunst hinein, und kommt dann bei der Wechselwirknng
alles Menschlichen in die Gefahr, sein Innenleben selber zu verphrasen.
Ls sei denn, man bliebe sein Leben lang unreis.

Wären es nur die Geschäftsleute, die Scheinkunst verbreiten, so würde
einem das Warnen leichter. Geschäfte, gute Geschäfte, möglichst großen
Absatz müssen aber auch die Wohltätigkeitsanstalten und Vereine aller
Art wünschen, die etwa Bilder verschicken, um den Gewinn daraus vater-
ländischen Leistungen zuzuführen. Ein Beispiel aus dem Gebiete der
Schwindelimitation führten wir schon an. Nun eins ohne Imitation.
Da verbreitet ein gemeinnütziger Verein unter dem Titel „Unsre Landes-
mutter" eine „Erinnerung aus dem Weltkrieg" aus Anilin und Zucker,
die alle Merkmale des Begriffes Kitsch wie in einem Schulbeispiele zu-
sammenfaßt. Wenn mir sein Verfasser, Stassen, oder seine Auftraggeber
das bestreiten, so bitte ich um die Erlaubnis, das Bild im Kunstwart nach-
zubilden, zum Anschauungsunterricht.

Andre solche Sachen gehören zum Pathos-Kitsch. Das echte

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