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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,4.1916

DOI Heft:
Heft 22 (2. Augustheft 1916)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Max Schelers "Genius des Krieges"
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https://doi.org/10.11588/diglit.14294#0177

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Max Schelers „Genius des Krieges"

^^s gibt auch jetzt noch Werke, die sich mit „einem bißchen Rezension^
E!z^nicht zufrieden zu geben brauchen. Vor Max Schelers großem
^»^Buch „Der Genius des Krieges und der deutsche Krieg^ ^ gibt es
nur zwei Möglichkeiten: entweder eindringliche, mit Aufwand an Zeit und
Nachdenken verbundne Auseinandersetzung oder völliges Daranvorbeigehen.
Das erfordert der Ernst und die leidenschaftliche gedankliche Vertiefung des
Verfassers, die sich auch in der schwierigen Sprache des Werkes kundgeben.
Drei Ziele scheint mir Scheler zu verfolgen: erstens die sittliche Bewertung
des Krieges schlechthin, das heißt in seinem Sinn: die Rechtfertigung des
Krieges als eines Bestandteils der göttlichen Weltordnung; zweitens die
Rechtfertigung unseres jetzigen Krieges vom Standpunkt des Deutschen
aus und damit zusammenhängend drittens die Klärung des Verhältnisses
zwischen England einerseits und Europa oder Deutschland anderseits. Iedes
dieser Themen für sich würde ein Buch vom Umfang des „Genius" aus-
füllen — schon daraüs geht hervor, welche Fülle von Gedanken sich in
diesem einen Werk drängen muß, immer vorausgesetzt, daß es in keiner
Zeile seicht, oberflächlich, vorläufig gehalten ist. Ich will dabei gar nicht
verkennen, daß dem „Genius^-Werk diese Dreiheit der Thematik formal
genommen nicht zugute gekommen ist; es ist weder völlig abgerundet, noch
gar gleichmäßig ausgearbeitet.

Das erste Thema gehört offensichtlich in die Moralphilosophie, und hier
ist Scheler wohl am meisten zuhause. Er ist sozusagen Ethiker von Berus,
und man merkt seinen ethischen Gedankengängen alsbald die vollkommene
Schulung an. Sachlich hat er es auf eine Rechtfertigung abgesehen,- er
bleibt da nirgends auf halbem Wege stehen; nicht, weil er nun eine end-
gültige „Lösung" der vorliegenden Fragen brächte, sondern weil die Gründ«
lichkeit des Verfahrens ihn zwingt, „ganze Arbeit zu machen", die sittlichen
Gedanken in ihrem vollen Amfang auszusprechen, ist das zu begrüßen. Wir
haben einerseits die furchtbaren Tatsachen des gewaltigen Tötens von Tau-
senden, der Schrecken eines Krieges, der Zerstörung allgemein anerkannter
Werte mit ihrem scheinbar oder wirklich unlösbaren Widerspruch zu dem
Gebot der Liebe und des Friedens, zu unserm Streben nach friedlicher
Kulturförderung, anderseits die gerade bei uns tief eingewurzelte Äber-
zeugung von der Notwendigkeit, Größe, sittlichen Bedeutung des Krieges.
Während nun Hunderte diesen klaffenden Widerspruch, sei es undurchdacht
bestehen lassen, sei es durch schwächliche Gedanken zu überbrücken suchen,
geht Scheler klar und fest auf den Kern los. Nicht der Krieg ist nach
ihm der Fehler unserer Weltordnung, das unlösbare R im sittlichen Wert-
zusammenhang, sondern umgekehrt ist das sittlich-philosophische Denken
falsch ausgerichtet gewesen, insofern es im Kriege ein äußerstes Äbel sah.
Nicht Kultur, nicht Liebe an sich sind unvereinbar mit der Tatsache Krieg,
sondern der mißverstandene Gedanke der Liebe, der falsche Be-
griff von Kultur verträgt den Krieg nicht. Anstatt unser Denken auf die
wirklich höchsten Werte einzustellen, haben wir es orientiert an niederen,
mit deren unbedingter Erhaltung allerdings der Krieg unvereinbar wäre.
Einem Scheler mußte als Katholiken solches Denken offenbar naheliegen.

^ Verlag der Weißen Bücher, Leipzig. M S., 7 M.
 
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