Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,4.1916

DOI Heft:
Heft 22 (2. Augustheft 1916)
DOI Artikel:
Kuntze, Friedrich: Kriegs-Philosophie aus dem Schützengraben
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14294#0186

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Kriegs-Philosophie aus dem Schützengraben

^^^ie Wälder der Vorzeit versanken zu Torf und Kohle; aus der Sub-
^A/stanz der Kohle bildete sich in seltenen Glücksfällen hie und da der
Diamant. Was diese Wälder einst belebte, ja> wie sie aussahen,
danach fragen die Durchschnittskinder einer späteren Zeit nicht, sie wollen
von der Kohle nnr die Wärme, vom Diamanten nur die Schönheit. So
Vird es auch — täuschen wir uns nicht — den gegenwärtigen ungeheuren
Lreignissen geschehen: auch sie werden zu Gebilden zusammensinken, die
ihre anfängliche Form so wenig und so schwer verraten, wie Diamant und
Kohle das Aussehen der Vorzeitwälder. Von diesem Krieg werden „auf-
gehoben" bleiben die Diamanten: die Werke zeitloser Schönheit, zu denen
er die Veranlassung gegeben hat oder geben wird, und die Kohlen: das
im ethischen 'Sinne Instrumentale, dasjenige, was dermaleinst als Wärme
der allmählichen Erkaltung der sittlichen Welt sich widersetzen wird und
dasjenige, was als lebendige Kraft in den Gemütern zum dauernden Motiv
und Anstoß zu werden bestimmt ist. Aber das Erste hat die künstlerische
Kritik, über das Zweite die Philosophie zu befinden. Von der Bildung
des philosophischen Arteils über das Zweite soll hier die Rede sein.

Diese Arteilsbildung muß meines Erachtens ausgehen von einer Be-
trachtung nicht der momentanen Zufälle, die jetzt dem Einzelnen zustoßen
können, sondern von den Gesetzen, unter denen jetzt der Einzelne lebt. Die
Gesetze formen ja überhaupt Staaten, bilden Geschichte; von ihrer Ange-
messenheit oder Unangemessenheit an Wirklichkeiten und Aufgaben hängt
die Blüte wie der Verfall der Nationen in allererster Linie ab. Sehen wir
uns daraufhin die Gesetze an, unter denen jetzt mehrere Millionen deutscher
MLnner stehen, so sind es die des deutschen Soldatentums und
die des Krieges. Was jene erste Gruppe von Gesetzen angeht, so
gibt ihre Entstehungsgeschichte Anweisung auf den Geist, der in sie ein-
gegangen ist: die gesetzbildende Kraft im preußischen „Militarismus" ist
der kategorische Imperativ Kants. Lin System von Einrichtungen, ganz
auf den Pflichtbegriff, auf den Begriff der Bildung und der Menschenwürde
aufgebaut — hätte man einer solchen „ideologischen" Erfindung zutrauen
sollen, daß sie je imstande ser, die Wirklichkeit nach ihrem Bilde zu formen?
Und doch haben wir es gesehen, daß dies „formale Motiv^ sich dauernd als
das bewährt hat, als was es von Kant angesprochen wnrde: als das einzig
zuverlässige. Indessen: über das preußische Soldatentum und die in ihm
wirkenden Operatoren will ich heute nicht reden — ich habe es wohl früher
öfter getan, als jene Operatoren noch um die Anerkennung rangen, die
ihnen jetzt so überreich zuteil wird.

Was aber die zweite Gruppe von Gesetzen und Verhältnissen an-
geht, die diesem Krieg als solchem eigentümliche, so steht die Erörterung
der aus diesem Kriege zu erhoffenden moralischen Ergebnisse unter
dem Zeichen einer gewissen geistigen Notwehr. Es sträubt sich etwas in
uns gegen die Zumutung, das namenlose Leid der Gegenwart als das
Letzte anzusehen. Anser Bewußtsein nutzt die Tatsache aus, daß wir
Zeitwesen, daß wir Zweckwesen sind; es sucht nach dem künftigen Guten,
um deß willen wir die Gegenwart ertragen. Näher besehen besteht unser
ganzes Denken aus solchen Notwehr-Akten, und darum werden wir ja auch
dohl hier auf dem rechten Wege sein. Iedenfalls bekenne ich mich zu dieser
Denkart. Ich möchte, sie anwendend, allgemein zunächst folgendes sagen:
 
Annotationen