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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,4.1916

DOI Heft:
Heft 20 (2. Juliheft 1916)
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Herter, H.: Gobineau
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https://doi.org/10.11588/diglit.14294#0093

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spielhaus, sorgsarn bearbeitet, vermögen sie tiefe Wirkung zu erzielen.
Aber bleiben werden sie als ein Buch, das allen kulturgeschichtlich In«
teressierten und an „schlechthiniger^ Größe eines Menschenkreises Teil-
nehmenden Tiefstes in klarster Form erschließt. — Doch auch manches
andre Werk Gobineaus hat seinen Glanz noch nicht verloren. Sein Roman
„Das Siebengestirn" gehört zu den gehaltvollsten und geistreichsten seiner
Zeit. Ein Engländer, ein Franzose, zwei Dentsche, eine Engländerin, eine
Polin sind die tzauptgestalten, und Gobineau charakterisiert sie nicht nnr
glänzend, er findet auch Fabeln, welche eine restlose Entwicklung der Per--
sönlichkeiten erlauben. Das Thema aber, das er hier mit vollendeter
Vornehmheit behandelt, könnte man nennen: die Lebensmöglichkeiten des
Adelsmenschen in der neueren Zeit. Stoische Gedanken über Lebensauf--
fassung, Betrachtungen über Völker und Verfassungen, Nachdenkliches über
Liebe, Glück und Leid beherrschen das Werk, das doch in keiner Zeile
schwerfällig wirkt, das stets mit weltmännischer Aberlegenheit und oft mit
erlesenem Humor vorgetragen ist. Freilich, wie die Renaissance--Szenen
kein Drama sind, so ist dieses Buch kein Roman. Eine lose Folge von
einzelnen Lrzählungen, in der fortwährend der Schauplatz wechselt, an--
einandergereiht ohne die Knnst der Verknüpfnng, erzählt mit der Naivität
des Berichterstatters, dem kein Gestalterwille ausgedehnte „direkte Cha-
rakteristiken" oder philosophische Einschiebsel verwehrt. Es kommt Go--
bineau ganz osfensichtlich nicht eben viel auf die „Kunst" an, ähnlich, wie
er ja anch in seinem Versnch wissenschaftliche Schnitzer und Irrtümer
nicht vermied. Sein Genie befähigte ihn, trotzdem auf beiden Gebieten
Bedeutendes zu leisten, aber es besteht kein Grund, diesen Zug seines
Schasfens zu übersehn.

Auch die meist in Asien spielenden Novellen erinnern an den Völker--
forscher Gobineau. Man wird nicht leicht wieder einen Schriftsteller finden,
der mit solcher Sicherheit verkommene Venezianertypen („Das rote Taschen--
tuch"), tatarische Abkömmlinge („Die TLnzerin von Schemacha"), griechi--
sche Inselbewohner („Akrivia Phrangopoulo^) und iranische Alltagleute
(„Asiatische Novellen") Hinzeichnet, zugleich in unterhaltendster Form ihre
ganze Nmwelt bis zu den Einzelheiten der Wohnung, Kleidung und Lebens--
art herab veranschaulicht und dabei doch nie zum Antiquar wird, im
Gegenteil: gelegentlich zum Dichter, der ergreift und erschüttert. In ihrer
Sonderart, als völkerkundliche Novellen, tragen auch diese Kleinigkeiten
den Stempel des Meisterlichen.

Was man sonst mit liebevollem Eifer noch von Gobineaus Werken
übersetzt hat, das starre Alexandrinerdrama „Alexander von Makedonien"
und das phantastische, wirre Epos „Amadis", kann außerhalb der engeren
Kreise der Verehrer des Rassenforschers auf Teilnahme nicht rechnen.

H. Herter

Die genannten Werke: Renaissance, Siebengestirn, Asiatische Novellen,
Reisefrüchte, Die Tänzerin von Schemacha, sind sämtlich in Reclams
Universalbibliothek, das erste ist außerdem noch in mehreren anderen schönen
Ausgaben erschienen. Die Schemannsche Abersetzung zum Beispiel bei
Trübner als „Ausgabe letzter tzand" mit den (9(2 znm erstenmal über--
tragenen Einleitungen Gobineaus. Vielleicht die schönste Ausgabe der
„Renaissance^ ist die Iollessche Abersetzung mit den Lichtdrncken nach
italienischen zeitgenössischen Bildnissen der von Gobineau vorgeführten
Männer (Insel-Verlag).

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