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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,4.1916

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Heft 21 ( 1. Augustheft 1916)
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Erdmann, Karl Otto: Proteus Schopenhauer: auch ein Kongreß-Nachklang
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https://doi.org/10.11588/diglit.14294#0140

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Gelegenheit ergreifen, auf billige Weise und ohne Anstrengung ihrer
Bildung aufzuhelfen, um doch gelegentlich mitreden zu können und eine
Ahnung zu haben, wer denn dieser Mann eigentlich gewesen ist, von dem
jetzt so viel Wesens gemacht wird. Ich will anch ganz absehn von jenen
freundlichen, zerstreut zuhörenden Damen, die ihre neuen tzüte und Klei--
der in gewählter Gesellschaft zeigen wollten und die glücklich waren, in
diesen schlimmen Kriegszeiten einen Grnnd zu haben, ein Festessen mit-
zumachen, um dort womöglich eine heitere Lcke zu bilden. (Die schöne An-
wesende, die in so reizend offner Weise ihre und ihrer Genossinnen Beweg-
gründe enthüllte, möge mir verzeihen, daß ich aus der Schule plaudere.)
Aber man darf vielleicht annehmen, daß in diesen Äersammlungen, in
denen die durch fleißige Reklame angezogenen Gäste die Mehrzahl bildeten,
doch die Zahl derer überwog, die, ohne irgendwie Kenner zu sein, immerhin
der Schopenhauerschen Philosophie Interesse entgegenbrachten, nnd
die nun gerade nach weiterer Aufklärung und nach Nichtlinien sür ihr Ver-
ständnis suchten. Was haben wohl solche Teilnehmer, die etwa die Dar-
legungen des Vorsitzenden und die Diskussion über die Willensfreiheit hör-
ten, für ein Bild vom gefeierten Philosophen gewinnen können?

Ich möchte hier nicht die Frage anfwerfen, ob die Angen der Liebe
oder die Augen des Hasses schärfer sehen. Wenn aber einer der Teil-
uehmer an der Tagung der Schopenhauer-Gesellschaft, dem ich von der
Maupassantschen Skizze erzählte, ausrief: „Eine so feindselige, gehässige,
böswillige Verzerrung ist nur einem Franzosen möglichl", so möchte ich
erwidern, daß der französische Schriftsteller doch wenigstens die bezwingende
Macht und die überragende Größe des deutschen Denkers empfunden und
anerkannt hat. Insofern steht seine Lharakterzeichnung noch hoch über
dem Gezeter einer engherzigen Lebensauffassung und spießbürgerlichen
Moral, wie wir es leider auch in Deutschland oft genug haben hören
müssen. Es wirkt recht peinlich, wenn man daran erinnert, daß selbst ein
Gustav Freytag von Schopenhauer verächtlich als von einem „elenden
Gesellen" geredet hat; daß selbst seine „Grenzboten" Iahre hindurch den
großen Denker beschimpften; ja daß dieser lange Zeit in sehr maßgebenden
Kreisen als anrüchig galt. Man kann sicherlich einen Fortschritt darin
sehn, daß sich cheute die Spießbürger nicht mehr an Schopenhauer heran-
trauen, so gerne sie's auch manchmal möchten. Ietzt gehört er zu denen, auf
die zu schelten gefährlich ist, weil sie nun einmal allgemein anerkannt
sind, wenn man sie auch nicht kennt. Und so konnte dieser unzeitgemäßeste
aller Philosophen sogar heute gefeiert werden. In einer Zeit, da sreudige
Tat und Hingabe ans Vaterland über alles gilt, konnte doch öffentlich und
ohne kleinlichen Widerspruch dem Genie eines Mannes gehuldigt werden,
der in der Abtötung des Willens das letzte Ziel aller Sittlichkeit erblickte,
der indische Büßer und altchristliche Säulenheilige als hehre Vorbilder
Pries, der als eingefleischter Weltbürger alles andere eher als ein Patriot
war, ja: der dem Deutschtum abweisend unsreundlich gegenüberstand. In-
sofern ist auch die „Aufmachung" der diesjährigen Generalversammlung,
das Ehrenkomitee mit seinen Geheimen Kommerzienräten ryrd Exzellenzen,
das Gepränge der ersten Sitzung mit den Ansprachen des Oberbürgermeisters
und des Rectors magnificus der Hochschule, ja selbst der dekorative Kranz der
theatermäßig zuschauenden und zuhörenden Damen und Herren bedeutsam,
so wenig auch manches zum Geiste gerade der Schopenhauerschen Philo-
sophie gepaßt haben mag. (m) Karl O. Lrdmann
 
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