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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,4.1916

DOI Heft:
Heft 24 (2. Septemberheft 1916)
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Schumann, Wolfgang: Geschichtliche Romane
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https://doi.org/10.11588/diglit.14294#0282

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Und wieder ein anderes Bild! Iulius Havemann, dessen bedeutende
dichterische Kraft sich an einem Roman der Befreiungskriege bewährte,
entwarf nun ein Gemälde von Tizians Venedig. „Schönheit" heißt dieser
neue Roman; und der Titel ift gut gewählt; er weist darauf hin, daß das
Wesentliche dieses Buches nicht eine Gestalt sondern ein Lebenskreis, eine
„Biosphäre", ist. Venedig zur Zeit der Hochrenaissance, die Weltstadt
Venedig in ihrer Blütezeit, Venedig, das lasterreiche Paradies ganzer
Geschlechter von Künstlern und Hetären, Venedig, der Sammelpunkt farb-
glühender orientalischer Genuß- und Luxusmittel, die Stätte freiester Geistig-
keit und drückendster Not — das ist das Thema tzavemanns, an dem sich
die Unkraft unsrer „Neuromantiker" allzu verräterisch erwies, das er mit
der Energie des Reifen anfaßt und erschöpft. Knapper als je im Gestalten,
veranschaulicht er auf nur 366 Seiten hier eine Welt, die wimmelt von
geschichtlichen Persönlichkeiten, die glüht von Lust, die in unbegreiflicher
Schnelle reift, lebt, altert, vergeht. Da ist nichts von sparsamer Wortwahl,
kunstvoller Gliederung, streng durchdachter Satzbildung; aus üppigster Fülle
heraus gibt Havemann Szenen, Dialoge, Schilderungen aller Art, und
jede lebt in starkem Licht, in eigner Mächtigkeit; wirr mutet das Ganze
an, aber, zwei- oder dreimal gelesen, hinterläßt es den tiefen Eindruck eines
innigst und mit geistiger Kraft nacherlebten Kulturganzen. (Linzelne Aus«
tritte wie Aretinos Tod oder der gewaltige Schluß, wo die Pest fürchterlich
genug den Äbermut endet, haften tief im Gedächtnis; der gedankliche, ge-
sühlhafte, stimmungmäßige Reichtum des Werkes bezeugt auss neue, daß
Havemann zu unsern Besten zählt. Ein Erbe Iensens, überreich wie er,
aber wählerischer, mehr Könner, mit diesem einen Buch schon meisterlicher
als jener mit den besten seiner hundert Werke.

Nähme man den Wert der bisher genannten Werke zum „Maßstab",
so bliebe kaum noch weiteres zu erwähnen. Zwei Bücher seien aber noch
besprochen, eines wegen seiner Aktualität, eines wegen der Hosfnungen,
die es erweckt. Max Dreyers Roman „Der deutsche Morgen" mit
dem Nntertitel „Das Leben eines deutschen Mannes^ führt in die Re-
aktionzeit zurück, die auf die napoleonische folgte. Sein Thema ist der
Kamps des liberalen Bürgertums mit der Bürokratie und dem wieder-
gekehrten politischen Absolutismus um die Rechte, die sich das Bürgertum
erkämpst zu haben meinte. Ein freiheitliches, aber erfreulicherweise kein
phrasenhaftes Buch; eins, das auf guter Einfühlung in politische Lagen
aller Art, auf männlichem Ernst beruht und ruhig und klar geschrieben ist.
Man kann ein paar ernste Stunden damit verbringen, zumal die typische
Stimmung der Nnsicherheit, des Schwankens aller Verhältnisse nach großen
kriegerischen Nmwälzungen gut getroffen ist. Dies und der Geist völki-
schen Willens znm Recht verleiht dem Buch seine Aktualität. Im übrigen,
eine Wiederkehr gerade solcher Zustände fürchtet heute wohl niemand, und
zudem ist die Spannweite des Buches, in dem die persönlichen Schicksale
eines Einzelnen den breitesten Raum einnehmen, nicht groß; weit über
kleinpreußische Verhältnisse greift es nicht hinaus. Für die Zeit der Erd-
ballpolitik bedeutet es nicht viel mehr als die Erinnerung: gedenkt dessen,
was als unveräußerliches Recht in jahrzehntelangem Leid erworben wurde.
— Mit einem lebhaft geschriebnen Roman „Der unbekannte Gott^ meldet
sich ein neues Talent an, H. v. Hippel. Im Mittelpunkt steht jener
Prediger Iulius Rupp, der um sreiheitlicher Anschauungen willen in
Königsberg den mannigfaltigsten Versolgungen ausgesetzt war; die Ge-

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