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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,4.1916

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Heft 24 (2. Septemberheft 1916)
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Rebensburg, Heinrich: Alte Dorfschönheit und moderne Technik: Brief an einen Ingenieur
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https://doi.org/10.11588/diglit.14294#0285

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hinstreben; er wird alten ästhetischen Werten — etwa auf dem Lande —
mit instinktiver Achtung gegenübertreten und dem eigenen technischen Werk
eine der ehrwürdigen Nachbarschaft würdige Haltung geben,- er wird den
Leuten draußen sagen, wie gut ihre alten Häuser sind; er wird auch
bei der voraussichtlich kurzen Dauer seiner Neuanlage — was sind fünfzig
Iahre! — sich seiner Verantwortung bewußt sein und trotzdem best«
mögliche Formen schaffen. Sei es, um neben bodenständigem Alten
mit ästhetischem Anstand zu bestehen, oder mehr noch, um nicht das Land-
volk zur Nacheiferung von ästhetischen Greueltaten zu verführen. (Wie
viele Dörfer sind verwüstet worden durch ein Beispiel moderner Bau-
Roheit!)

Moderne Technik bedeutet also nicht Rücksichtslosigkeit gegen alles Alte.
Dem Himmel sei Dank, die Zeiten sind jetzt endgültig vorüber, wo der Ein-
bruch des Ingenieurs in das Dorf dessen ästhetischen Ruin unbedingt zur
Folge hatte. Leider ist ja furchtbar gesündigt worden in vielen Gegenden,
und die geschmacklose Roheit älterer technischer Anlagen hat oft den letzten
noch vorhandenen Rest von bäuerlichem Empfinden für Geschmackstradi-
tionen im Dorfe getilgt.

Eine naheliegende historische Äberlegung sollte den Techniker auf seinem
Wege aufs Land begleiten: wir leben heute, auch auf dem Lande, in einem
anderen Zeitmaß als die Bauern des sechzehnten bis achtzehnten Iahr-
hunderts. Deren Bauten waren als endgültig gedacht, für die „Ewigkeit",
die dies Geschlecht in diesem Heim und in dieser Verbindung mit dieser
Scholle dauern sollte. Darum baute man mehr als gediegen, und wenn
einmal ein Neubau nötig war, so wurde, wenn irgend möglich, das alte
Fundament wiederum benutzt. Aber was ist heute im Zeitalter der Frei-
zügigkeit ein Bauerngeschlecht? Grund und Boden sind Geschäftswerte,
die Spekulation ergreift heute dieses, morgen jenes Dorf oder Grund-
stück — und bald steht eine Fabrik an der Stelle eines Bauernhauses, oder
ein städtisch herausgeputzter Kasten mit mehreren Stockwerken. Nnd wer
verbürgt Ihnen, daß Ihre schönen Kraftanlagen nicht schon in (2 bis (5
Iahren „veraltet" sein werden und „unbedingt^ (wegen (2 bis (5 vom
Hundert mehr an Kraftgewinn) umgebaut oder durch „moderne" ersetzt
werden „müssen"? Ganz bestimmt wird von jenen Fabriken und modischen
Häusern, die in den letzten fünfzig Iahren entstanden sind, und auch von
unsern jetzigen Äberlandzentralen nach abermals fünfzig Iahren nichts
mehr da sein. Dann aber stehen ebenso bestimmt noch eine große
Zahl jener alten gediegenen Bauernhäuser, die vor hundert oder zwei-
hundert Iahren für eine haltbarere „Ewigkeit^ errichtet worden sind, und
sie überleben gewiß noch ein Dutzend schnellebige Moden und geschäftliche
Notwendigkeiten, wenn man sie nicht gewaltsam daran hindert.

Nnd nun das Komisch-Widersinnige. Nnsere kurzatmigen Bedürfnisse
treten ebenfalls auf mit der Ewigkeitsgeste. Es drückt uns wirklich
nicht allzu tiefe Selbsterkenntnis. Viele Ingenieure haben vor der
Majestät ihres Tuns eine solche Ehrfurcht, daß ihnen ein Telegraphen-
mast mehr bedeutet als ein alter Mordsbauernkasten oder eins seiner
Anhängsel. Sie werden da keinen Augenblick schwanken, wer der Ge-
wichtigere ist, der Rücksichten verdient.

Die ästhetische Wirkung eines bedeutsamen Baudenk-
mals sollte nie ohne wirklich zwingenden Grund beein-
trächtigt werden. Beispielsweise: liegt in der Blickrichtung einer

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