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Badener Lazarett-Zeitung (Nr. 1-58[?]) — Baden-Baden, Juli 1916 - Dezember 1918

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Hefte 5-6, September 1916
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https://doi.org/10.11588/diglit.2827#0036

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LaLarell-Leltung.

Der Brunnenwirt verabreichte seinem Kellner-
stift, welcher sich in verdächtiger Weise am Schoko-
ladenautomaten zu schaffen machte, eine Knallschote,
denn er war ein unbestechlicher Mensch, welcher auch
im freudigsten Affekt seiner Autorität nichts zu
vergeben pflegte. Dann verkündete er dem Früh-
schoppentisch auf der Veranda die frohe Mär und
enteilte in die Küche, wo er seine unendlich stärkere
Hälfte aus ihrem friedlichen Vormittagsnickerchen
aufftörte.

Sie hatte noch nicht ganz zu Ende gehört, als
auch schon ein fast ruckweises Wachwerden ihre
kolossale Weiblichkeit erschütterte. Jhre Schläfrigkeit
war nichts als versetzter Schaffensdrang, und
wenn sie Schönes träumte, so war es von dam-
pfenden und brodelnden Taten. Der stille Küchen-
raum mit dem großen Herd, welcher, außerhalb
der Mittagszeit für die Familie Kloßmann, nur
selten für ein vergrämt einsames Kotelette sich
erwärmte, erbebte unter dem jäh erwachenden
Schaffensdrang seiner Beherrscherin.

Jn der ack tioc zusammenberufenen Extrasitzung
der Stadtverordneten von Heinzenfelde war es zu
heftigen Auseinandersetzungen gekommen, weil eine
unmilitärische und pietätlose Mehrheit dem Antrage
des Herrn Stadtverordneten Kloßmann sowohl
hinsichtlich der weißgewaschenen Jungfrauen als
auch der Ehrenpforte am Bahnhofe erst dann zu-
stimmte, als dem Brunnenwirte der Nachweis
gelang, daß eine Exzellenz, wie die zu erwartende,
nur noch drei Menschen im Range über sich habe.

So war denn in kaum sechs Stunden alles
festlich hergerichtet worden. Und selbst der heftige
Gegner des Antrages Kloßmann, Herr Stadtrat
Ebenhoch, sah, daß es gut war. Es hatte doch
etwas Eigenes, wie die sechs hübschen Mädchen
in ihren steifhaltigen Waschkleidern und mit den
Tausendschönchen im Haar unter der von Buchen-
laub errichteten Ehrenpforte vor Aufregung bub-
berten und des Herrn Stadtrats eigene Hilde
immer wieder die schönen Verse vor sich hersagte,
welche der begabte Kreisblattredakteur frei aus
dem Handgelenk gedichtet hatte. — Wer konnte

denn wissen, ob nicht — vielleicht-na, und

im gegebenen Falle hatte man es ja dazu. Der
Herr Stadtrat war ein wöhlhabender Mann, und
wenn er sich zuerst gegen den Antrag Kloßmann
aufgelehnt, so lag es daran, daß der Brunnenwirt
ihm kürzlich vorgeworsen, beim Skat zu mogeln.
Diesen schroffen politischen Gegensatz hatte aber
schließlich sein Vaterherz ausgeglichen — und dieses
Vaterherz stand nicht allein mit seinem schönen
Siege. Es dachten noch andere so wie der Herr
Stadtrat.

Aber die Sache wurde nachgerade etwas läng-
lich. Um halb Sieben hatte das Kommando in
Heinzenfelde eintreffen sollen, und da um diese
Zeit ein fahrplanmäßiger Zug den Ort nicht berührte,
so nahm man an, daß die Herren sich eines Extra-
zuges bedienen würden — und richtig. Dem Sta-
tionsvorsteher, dessen Gesicht vor Aufregung schier
noch röter war als seine Mütze, wurde in letzter
Stunde ein solcher gemeldet. Das bedeutete aber
eine Verspätung um drei Viertelstunden.

Während der männliche Teil des Empfangs-
komitees in einer nahegelegenen Restauration aus-
ruhen und sich erfrischen konnte, fürchteten die
Ehrendamen, ihren Staat zu „knautschen" und
verharrten proppenfest unter der grünbuchenen
poita ttiumptialis. Ueberdies dachte Fräulein Hilde
Ebenhoch im stillen — wenn sie sechsundzwanzig
Jahre auf einen Mann gewartet, dann käme es
auf die fünfundvierzig Minuten schließlich auch
nicht an.

Geduld bricht Rosen! Endlich! Ein lang-
gezogener Pfiff —

Fräulein Hilde betete ihren Spruch wie tief-
sinnig vor sich hin, die andern Damen machten
ängstliche Augen und ordneten an ihren Schärpen.
Die Herren stürzten auf ihre Plätze und der
Bürgermeister auf den Perron. Gleichzeitig rückten
die fünf Wagen, voran der hübsche Ebenhoch'sche
Zweispänner, vor.

Noch eine Minute — dann-Tusch

mit darauffolgender Wacht am Rhein — und ein
Hurra, daß die Ehrenpforte wackelte —

Jn der Tür erschien der Bürgermeister mit
— einem Leutnant — einem einzigen kleinen
Leutnant, der zuerst ein so wenig gescheites Gesicht
machte, wie das würdige Stadtoberhaupt selbst,
dann aber mit einem Schlage die Situation erfaßte.
Mit einem durchtriebenen Lächeln drehte er seinen
Schnurrbart auf und nötige die sprachlos verblüfften
Herrn, sich zu bedecken. Die Hand an der Mütze,
grüßte er dann ein halbes Tausend offener Mäuler
und nahm in dem ersten Wagen Platz. Der
Bürgermeister schlafwandelnd neben ihm.

Unter der grünen Pforte sechs klopfende Herzen
und ein sechsfaches heftiges Erröten. Dann von
Fräulein Hildes bebenden Lippen:

E8 grüßen Euch, o Kriegeshelde,

Die Einwohner von Heinzenfelde —

Nehmt diese Blumen, die der Lenz
Gebracht für Eure Exzellenz.

Der Leutnant verließ den Wagen und erwiderte
aus dem Stegreif folgendes:

Nicht Exzellenz — den „lleinen Schlonski"

Nennt man den Leutnant Paul von Konsky,

Doch küßt er gern Euch auf den Mund —

Wiro er dafür auch eingespunnt.

Und ehe die sechs Väter dazwischentreten konnten,
hatte der Offizier mit einer Geschwindigkeit, die
auf kolossale Uebung schließen ließ, den ganzen
jungfräulichen Begrüßungsausschuß der Reihe nach
herzhaft abgeküßt.

Der Wagen war schon längst auf dem Wege
nach dem „Brunnen", als die jungen Damen
allmählich zu sich kamen.

„Nein, so was —!" hauchte Fräulein Hilde
Ebenhoch entrüstet. Wie kam dieser steche Mensch
dazu — — auch die anderen zu küssen — die
hatten doch nichts aufgesagt!

Die Versuchsabteilung war bereits vor halb
Sieben auf ihren Automobilen via Chaussee auf
dem „Brunnen" angelangt — hatte bereits gegefsen
und erörterte eben das Abhandenkommen des Leut-
nants von Konsky, als dieser mit einem Gefolge
von zwei besetzten und zwei leeren Wagen bei der
Hotelterrasse vorfuhr.

Eine halbe Stunde später gingen selbst die
beiden Stabsoffiziere mit roten Gesichtern und
tränenden Augen herum — und nur das Stirn-
runzeln Seiner Exzellenz hielt einen erneuten
Heiterkeitsausbruch in Schach.

„Herr Leutnant von Konsky!"

Der von dem General Angerufene hatte sich
soeben mit dem harmlosesten Gesichte von der Welt
zu Tisch gesetzt.

Gemäß dem bekannten Grundsatze „Gehe nie zu
deinem Ferscht, wenn du nicht gerufen werscht!"
hatte er sich auf eine kurze Meldung beschränkt
und dann beiseite gedrückt, alles andere der Zukunft
und seinem Stern überlassend. Er hatte sich zwar
schon von den ersten Gardehusaren bis zu den
„Trainern" durchgeulkt, jenem Truppenteil, wel-
cher, einem unzarten, militärischen on ctit zufolge,
in Ermangelung einer Fahne auf die Wagendeichsel
vereidigt wird — aber es war immerhin noch gut
gegangen. Weshalb nicht äuch heute?

Er eilte heran und stand wie ein Baum.

„Exzellenz befehlen —"

„Haben Sie mir nichts zu sagen, Herr Leutnant
von Konsky?"

„Zu Befehl, Exzellenz! Jch habe im letzten
Orte infolge eines unabweislich notwendigen Auf-
enthaltes den Anschluß verloren und bin mittels
Extrazuges nachgereist."

„Und die Komödie auf dem Bahnhofe?"

„Habe ich nicht veranstaltet, Exzellenz. Jch
bitte ganz gehorsamst, ausrichten zu dürfen, was
mir dort für Eure Exzellenz bestellt worden ist."

„Nun — ?"

Ohne mit den Wimper zu zucken, griff der
„kleine Schlonski" auf einen Nebentische nach den
mitgebrachten Blumen, präsentierte sie dem hohen
Vorgesetzten und sprach mit guter Betonung:

Es grüßen Euch, o Kriegeshelde,

Die Einwohner von Heinzenfelde —

Nehmt diese Blumen, die der Lenz
Gebracht für Eure Exzellenz.

Der General wandte sich ab und enteilte mit
großen Schritten. Die goldenen Achselstücke hüpf-
ten förmlich auf seinen zuckenden Schultern — und
er kam auch nicht wieder zum Vorschein.

Dafür erschien aber näch wenigen Minuten der
Adjutant des Generals in der sich vor Lachen schier
wälzenden Korona und gluckste: „Herr Leutnant
von Konsky — Seine Exzellenz verzichtet für acht-
undvierzig Stunden auf ihre Dienste. Jn den
ersten vierundzwanzig haben sie sechs Entschul-
digungsbesuche abzustatten, von deren Verläuf das
weitere abhängt. Die letzten vierundzwanzig Stun-
den möchten Sie zur Erholung von Jhrer Ex-
tratour benutzen, und zwar auf Jhrem Zimmer."

Soweit dienstlich. Außerdienstlich fiel er ihm
um den Hals und heulte vor Vergnügen. Der
kleine Schlonski aber wies ihn sanft von sich mit
dem wehmütigen Vers:

Und was prophetct hat mein Mund —:

Jch werde wirklich emgespunnt!

Gejangchor der Feldgrauen.

Die Proben finden zunächst dreimal die Woche,
Montag, Mittwoch und Samstag, abends 7 Uhr,
im Tagesraum des Barackenlazaretts statt.

Berufsberakungsstelle für Rriegs-
beschadigke

Vorsitzender des Ausschusses:

Stadtrat Hermann Koelblin, Stephanienstr. 3.
Mitglieder:

Direktor Eugen Bargatzky, Stephanienstraße 16.
Rektor vr. Karl Breinlinger, Langestraße 57.
Rentner.Heinrich Eder, Zeppelinstraße 1.
Buchhändler Hugo Faber jung, Lichtentaler-
ftraße 2.

Wilhelm Michaelis, Leopoldstraße 2.
Hoflieferant Georg Müller, Lichtentalerstraße 40.

Verteilung derHerren aufdie einzelnenLazarette:
Rentner Eder: Sanatorium Ebers, Josephinen-
heim, Landesbad, Vincentiushaus.
Buchhändler Faber jung: Baracken 1—10,
Parkhotel.

Stadtrat Koelblin: Allee - Kurhaus, Villa
Mahler, Badischer Hof und Stadt Straßburg.
W. Michaelis: Turnhalle.

Hoflieferant Müller: Baracken 11—20.

VergünstigungeU)

welche die in den Lazaretten in der Stadt
Baden-Baden untergebrachten kranken und
verwundeten Soldaten genießen:

ls. Burhaus. Freier Eintritt in den Kurgarten
zu jeder Zeit; freier Zutritt zu den gewöhn-
lichen Konzerten daselbst. — Zu Sonder-
konzerten ist gewöhnlich Erlaubnis nötig.

2. Städtische Lichtsvielbühne. Preisermäßigung

in den vordersten Sitzreihen auf 25 Pfq.
pro Person.

3. Fahrt aus den Merkurius. Einmalige Frei-

fahrt auf den Merkurius für jeden kranken
und verwundeten Soldaten während seines
Aufenthalts in einem Lazarett der Stadt
Baden-Baden.

4. Straßenbahn. Benützung der Straßenbahn

für eine beliebig lange Strecke zum Preise
von 10 Pfg.

5. Sannnelstelle des Roten Rreuzes. Aus-

stattung in dringenden Fällen mit den nötigsten
Gebrauchsgegenständen.

6. Iu Rechtsauskünsten stehen jeden Samstag

Nachmittag zwischen 2 und 3 Uhr die Herren
Rechtsanwälte vi. Ernst Herrmann,
vi. Julius Höwig und August Schäfer
Offizieren und Soldaten im „Soldatenheim"
abwechselnd zur Verfügung.

7. Rriegsinvaliden - Fürsorge. Beratung der

Kriegsinvaliden (auch der aus dem Lazarett
noch nicht entlassenen, kranken und verwundeten
Soldaten) in allen sie betreffenden Angelegen-
heiten, insbesondere Berufsberatung. Haupt-
geschästsstelle im Rathaus (Grundbuchamt).
(Siehe „Berufsberatungsstelle".)

Für die Schristleitung der Beilage verantwortlich:
Stadtrat H. Koelblin, Stefanienstr. 3, Baden-Baden.
Druck: E. Kölblin, Hofbuchdruckerei, Baden-Baden.
 
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