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Badener Lazarett-Zeitung (Nr. 1-58[?]) — Baden-Baden, Juli 1916 - Dezember 1918

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Hefte 43-44, April 1918
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https://doi.org/10.11588/diglit.2827#0263

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Nummer 44.

kaäener Laxarett-

Sellsge.

1S.AMilM8.

»Einsteigrn in Richtung . . !
Höchste Zrit!"

Eine Lazarett-Skizze. Von O. G.

Spät abends hatten sie ihn gebracht. „Schuß
durch den rechten Oberschenkel. Schuß durch den
linken Oberarm". Die Kugeln waren längst ent
fernt, der Brave aber. zur Ausheilung der tieflie
genden, empfindlichen Schußkanäle vom Kriegs
in ein Heimatlazarett überführt worden. Nun
schlief er. Die lange Fahrt harte ihn ermüdet
Wer und was mochte er sein? Danach frägt
man nicht. Der lange Krieg stumpft ab. Für
die übrigen Kameraden war der Neu-Angekomme
ne einfach „Dreizehn, Nummer 13", wie groß
kalt, nüchtern die Zahl über dem Kopfende des
einzigen, noch unbelegt gewesenen Lagers wies.

Gefährlich schien es um „13" ohnehin nicht zu
stehen. Seine rabuste, kräftige Natur, nicht zu
jung, hielt den Schaden schon aus.

Es war Mitternacht, als durch die Türe das
Fieber auf leisen Socken schlich, einmal dahin
einmal dorthjn äugte. Da hatte es auch schon
den Neu-Angekommenen enldeckt. Sofort fuhr
der aus. Wirr, mit feuchter Stirn Und schrie
nein, brüllte es in das Dämmer des Säals:

„Nein, nein, nicht! — Zurück! Alles zurück
-So, ja; kommt Alles mit!"

Die Rechte gestikulierte. Schon war die
Schwester bei dem Fiebernden. Dessen Mund
aber warnte, predigte, bat und kommandierte; in
einem fort. Bald Worte, wirr, kraus, bald Sätze,
logisch, zusammenhängend:

„Zurück! Achtung!-Einsteigen ! Höchste

Zeit!"

Alles wachte, lächelte. Die Schwester legte
Kompressen auf. Das Tuscheln untereinander
ging weiter.

„Merkst was?" meinte ein Bayer zum Neben-
mann.

„Nu freilich!" 's wird eener vun d'r Bahn
sin", kam es sächsisch zurück.

„Pst!" gebot die Schwester. Der Anfall wie
derdolte sich nicht mehr. Mit dem Morgengrauen
war das letzte Fieber gewichen. „Dreizehn" er-
wachte. Jm Schweiß gebadet.

Das Hänseln ging los. Von links, von rechts.
Gutmütig, ohne Spott.

Wo san ma denn g'wen heut' Nacht, Kame
rad? Hab' mi' eh' g'freut,' 's ging der Hoamat,
'm Muatterl zua."

„Wieso" und „Warum" wollte die ahnungs-
lose „Dreizehn" wissen. Antwort, direkt, klipp
und klar, wurde ihr nicht; aber es schien in ihr zu

tagen. Sollte.Aber freilich, nichts anderes

war es. Das verdammte Fieber! Sicher hatten
sich in der Nacht wieder Anfälle, die er aus der
Erzählung der Schwestern und Kameraden kannte.
auch hier in der ersten Nacht wiederholt. Aber
halt: „Schaffner zu sein, ist kein Leichtes," dachte
er. Aber diesmal wollte er doch die ganze Ge-
sellschaft gründlich aufs Eis führen. Nur den
richtigen Augenblick erfassen. Der kam, als vom
Aufsichtspersonal niemand zufällig im Saale war.

Tief duckte sich „Dreizehn" in die Kissen. Es
war alles so schön ruhig.

Mit einem Ruck suhr er auf. Theatralisch in
der Geberde:

„Zurück! Achtung! Zurück! Alles kommt
mit.. "

Mitleid, Lächeln, Bedauern huschten wieselflink
durch den Saal.

Da fuhr auch die Rechte hoch. Der Zeigefin-
ger wuchs um ein Bedeutendes. Nach rechts, nach
links wies er, um endlich mit der Starrhalsigkeit
eines Wegweisers geradeaus zu verharren. '

„18—18 — 18 — 1 — 8" stand da in Rie-
senlettern. Ein Plakat, über das man achtlos
hinweggeglitten war.

Schon brüllte die Stimme weiter:

Achtung! Zurück — mit den Selbstinteressen !
Zurück mit Eigennutz und Scheu."

Alles kommt mit, was sein Vaterland liebt.

Ein — zeichnen, Kameraden ! Einzeichnen, Kame-
raden! Höchste, allerhöchste Zeit ist es zum Zeich-
nen der Kriegs-A n l e i h e!"

Und „13" lachte, lachte aus vollem Halse, die-
weil just die Schwester und der Herr Oberstabs-
arzt eingetreten waren.

„So ein Schlankerl!" lachte der Bayer.

„Schwester! Herr Oberstabsarzt" der hats dick,
faustdick hinter den Ohren.

Jm Moment waren dib Beiden über das Vor-
gefallene unterrichtet.

„Recht hat er," meinte der Stabsarzt; „und
brav hat er gehandelt. Hochachtung!" Und
drückte dem Glücklichen lange und kräftig die Hand.

„Ja, ist es denn noch Zeit?" hieß es.

„Na und ob" meinte die Schwester. Und nun
wies auch sie nach dem Plakat, das auf einmal
Ziel und Mittelpunkt des Jntereffes wurde und
erläüterte:

„Man zeichnet vom18. März bis 18. April
1918 mittags 1 Uhr die 8. Kriegs - Anleihe!"

„Freilich, da is höchste Zeit!"

Tinte, Feder und Papier war baldigst beschafft.
Baldigst war auch eine ganze Reihe von Num-
mern und Summen eingettagen.

„Herr Oberstabsarzt!" rief „Dreizehn".

„Was denn, Sie Schlauer?"

„Gelten's heut auf d'Nacht brauch' ich kein
Morphium?,,

„Und warum nicht?"

„Ja sehen's, i denk halt jetzt, wo i wenigstens
trotz meinem Stillieg'n doch noch was für's Va-
terland tun konnt,' kann ich a um so ruhiger
schlafen.

K

Das un;ulängliche Amphibmm.

auf die Dauer geht



„Aber lieber Klunke
doch das wirklich nicht

Der Regimentsadjutant Oberleutnant von
Häbeler hatte auf die Worte „Dauer" und „wirk-
lich" einen so scharfen Akzent gelegt, daß jeder
andre die Ueberzeugung gewonnen hätte, es ginge
tatsächlich nicht weiter so.

Der Reichsfreiherr Leupold von Klunke-Moos-
heim, Seiner Majestät dickfter Leutnant, gewann
diese Ueberzeugung nicht. Er tat einen tiefen Zug
aus seinem Stammseidel, das eine Sehenswürdig-
keit des Kasinos war, und sah dann aus den run-
den, kleinen wimperlosen Ferkelaugen treuherzig zu
dem älteren Kameraden auf.

„Wieso — ?" fraqte er freundlich.

Der Adjutant zuckte die Achseln.

„Wieso! Ja Menschenskind — haben Sie
denn gar kein Gefühl dafür, daß Jhre Drückeber
gerei nachgerade gen Himmel schreit!? Aus jedem
Manöver laffen Sie sich in den ersten acht Tagen
als marode nach Hause karren. Sowie der Win-
ter kommt, gehen Sie aus Urlaub. Jm Frühjahr
bekommen Sie jene merkwürdige Krankheit in der
linken Hinterflosse, die kein Stabsarzt feststellen
oder auch nur begreifen kann — —"

„Weil die Kerls alle nichts gelernt haben,
Häbeler," warf der Dicke ruhig ein

„Und im Sommer, während alle andern auf
dem Kasernenhofe schwitzen oder im Gelände drau-
zen Staub schlucken, setzen Sie Himmel und Erde
in Bewegung, um wieder die Aufsicht über die
Schwimmanstalt zu bekommen! Jn diesem Jahre
ist es das drittemal, daß Sie nach dem Kommando
jampeln. Da wäre ich an Jhrer Stelle doch lie-
ber gleich Badewärter geworden, anstatt Offizier!"

Herr von Häbeler hatte sich in reelle Erregung
hineingeredet. Und das war sein gutes Recht —
nicht nur als Regimentsadjutant und älterer Ka-
merad, sondern auch auf Grund einer aodern Le-
gitimation Die beidcrseitigen Väter waren inti-
me Freunde. An dem sestlichen Tage, an welchem
Leupold von Klunke dem Regiment eingereiht wur-
de, hatte der alte Baron den Sohn des Freundes,
der schon ein paar Jahre diente und eine glän-

- v

zende Karriere verspach, beiseite genommen, hatte
fürchterlich in sein Sacktuch geschneuzt und dann
feuchten Auges folgendes gesagt: „Lieber Häbeler,
nehmen Sie sich des Menschen ein bischen an.
Er ist dick, faul und gefräßig. Er eignet sich
zum Offizier wie eine Ostseequalle zum Fenster-
putzen. Darüber bin ich mir vollkommen klar.
Aber trotzdem. Seit dreihundert Jahren sind alle
erstgeborenen Klunkes Offiziere gewefen, und mit
dieser Tradition will ich nicht'brechen. Mindestens
drei Jahre muß der Bengel beim Kommis aus-
halten. Er muß und er wird! Geht er nor die-
ser Zeit hops, dann enterbe ich ihn bis auf den
letzten Knopf und et kann in Amerika Kellner ler-
nen. Also behalten Sie ihn im Auge und sorgen
Sie vornehmlich dafür, daß ihm seine Faulheit
und sein kodderiger Schnabel nicht vorzeitig das
Genick brechen." Damit hatte der alte Baron
dem Leutnant von Häbeler einen Kuß gegeben, sich
abermals heftig geschneuzt und dann eine dritte
Batterie Sutaine auffahren laffen.

Was in seinen Kräften ftand, hatte der Ad-
jutant getan und tat es noch Aber das Resul-
tat war nicht erhebend. Bezüglich des „Schna-
bels" hatte ja Leupold von Klunke bald selbst
gemerkt, daß es beim Militär gänzlich unan-
gebracht ist, mit eignen Meinungsäußerungen oder
gar Einwendungen wider den Stachel zu lecken.
Aber sonst? Sein Beharrungsvermögen war un-
erschüttert geblieben — unerschüttert wie die Ruhe,
in der er auf die Standpauke seines Mentors sich
äußerte.

„Lieber Häbeler, was Sie mir da vorhalten,
das müffen Sie bei dem nächsten Urlaubsbesuch
auf Schloß Moosheim meinem alten Herrn vor-
tragen. Nicht mir. Jch bin nun mal kein Kriegs-
mann Das müffen Sie sich immer vor Augen
halten. wenn Sie mich, wie eben jetzt wieder, mit
Moralinsäure begießen. Auch sonst tun Sie mir
unrrcht, Häbeler. Wahrhaftigen Gott. Sehen
Sie mal — ich gestehe ja gern. daß ich, bei sol-
cher blöden Hitze lieber in meiner Badehose auf
dem großen Sprungbrett der Schwimmanstalt sitze
und Jckeleys angele, als in Helm und Waffenrock
die Döberitzer Heide zu Schokoladenpulver zer-
trampele. Das gebe ich ohne weileres zu. Aber
ein Teil des königlichen Dienstes ist es doch auch,
wenn man dafür tätig ist, daß so ein Kaschube
später nicht gleich bei jeder Gelegenheit ersäuft.
Es gibt Kerls, Häbsler, aus denen man Petersilie
säen kann, wenn sie zum erstenmal bei mir antre-
ten. Jst es etwa kein oerdienstliches Werk, solch
einen Menschen, der sich von Kindesbeinen aa
nur auf Rand gewaschen hat, zur Reinlichkeit er-
ziehen? Na sehen Sie — — nun lachen Sie
wieder! Mir aber ist es verflucht ernst. Unfre
Zukunft liegt auf dem Waffer und — —"

Der Adjutant winkte ab und schüttelte resig-
niert mit den Kopf.

„Das ist Jhr alter Schnack. Damit kommen
Sie jedoch nicht mehr durch. Der Oberst hat
längst die Absicht gemerkt und ist verstimmt —"
„Der Mann hat mich nie geliebt, Häbeler. Es
wird die Zeit kommen, und sie ist nicht mehr fern,
wo ich ihm zu fühlen geben werde, daß das auf
Gegenseitigkeit beruht. Vorläufig muß ich es mir
noch gefallen laffen. wenn er mich bei jeder un-
passtnden Gelegenheit mit verfänglichen Fragen
aus der Kriegswissenschast anödet. Aber er müßte
mit einem Torfkahn übergefahren sein, wenn er
nicht einsehen wollte, daß es im Jntereffe des
Regiments selbst liegt, wenn ich wieder dj«
Schwimmanstalt bekomme. Mein Bauch behindert
mich sonst nicht. Jm Gegenteil, ich trage ihn gern
in Prozeffion vor mir her, in der Front jedoch
stört er nicht nur mich, sondern auch die ganze
Schlachtreihe. Ziehe ich ihn ein, so gerate ich
hinten ein Erkleckliches über die Linie; bin ich
hinten ausgerichtet, so sttmmt es wieder vorne
nicht. Alles in allem ist es das beste, Sie sorgen
wieder dafür, daß ich die Schwimmanstalt bekom-
 
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