DAS SCHIFFSHEBEWERK NIEDERFINOW
Ein Problem der Ingenieurästhetik
Am Hohenzollernkanal zwischen Berlin
und Stettin wird zur Entlastung der vielbe-
sprochenen Schleusentreppe ein Schiffs-
hebewerk gebaut, wie es in ähnlichen Ab-
messungen noch nirgends, auch in Amerika
nicht, vorhanden ist: ein Niveauunterschied
von 3- m kann durch dieses Werk in weni-
gen Minuten, durch senkrechtes Heben eines
Troges, der mit dem Schiffe ^200 Tonnen
schwer ist, überwunden werden. Die rein
technische Seile der Aufgabe hat uns hier
nicht zu beschäftigen. Nicht weniger wich-
tig und großartig ist die Frage der formalen
Gestaltung dieses gewaltigen Werkes, das
mit seiner Höhe von über 5o m die Gegend
weithin beherrschen muß. Daß die Behörde
sich ihrer Verantwortung auch dieser Frage
gegenüber bewußt ist, geht daraus hervor,
daß sie vor der Ausschreibung ein Gutach-
ten der ,.Akademie für Bauwesen" über den
von der Verwaltung ausgearbeiteten Yorent-
wurf eingeholt hat, aus dem wir die folgen-
den Sätze abdrucken:
„Wenn auch bei einem solchen Bau-
werk, das seinen berechtigten Charak-
ter eines einer Maschine gleichzuaeh-
tenden Werkes hat, es nicht angängig
erscheint, aus architektonischen Grün-
den ihm irgendwelche zusätzliche For-
men zu geben, so empfiehlt es sich
doch zu prüfen, ob es möglich ist,
ohne Schaden für die Betriebssicher-
heit eine mehr künstlerisch befriedi-
gende Gliederung des Eisengerüstes zu
erreichen,
1. und hauptsächlich durch Fortführung
der Horizontale des Brückenstegs um
das Hebewerk herum. Letzteres würde
dadurch eine wohltuende zweckent-
sprechende Teilung in seiner Höhen-
entwicklung erhalten,
2. durch Anbringen weiterer Streben an
den beiden Stirnseiten, jedoch alle
Streben tunlichst in einer mehr kör-
perlichen flächigen und leicht bogen-
förmigen Gestaltung gegenüber der
vorgesehenen mager und schwächlich
wirkenden des Modells,
3. durch Prüfung, ob es möglich ist, das
Schiffshebewerk durch vollwandige
Ausbildung einzelner Bahmenteile so
zu gliedern, daß dadurch die tragen-
den Konstruktionsteile als solche mehr
betont werden."
Einige dieser Anregungen wurden dann
noch vor der Ausschreibung in einem Ent-
würfe der Begierung, der unseres Wissens
nur von Ingenieuren bearbeitet wurde, be-
rücksichtigt. Wir bilden diesen zweifellos
sehr sorgfällig durchdachten Entwurf ab
und stellen ihm einen anderen gegenüber,
den Hans Poelzig auf Veranlassung der
Firma J. Gollnow & Sohn, Stettin, aus-
gearbeitet hat. Der Vergleich ist un-
gemein lehrreich und erhellend für das
Verständnis der allgemeinsten Probleme
der Ingenieurästhetik. Um die gleich ins
Auge fallenden Unterschiede zuerst zu er-
wähnen : den von der Akademie vorgeschla-
genen, von den Ingenieuren angenommenen
Laufsteg hat Poelzig weggelassen, ebenso
wie die seitlichen Streben, und an Stelle des
komplizierten Dreieckf acbwerks setzt er ein
sehr einfach wirkendes, klares Bahmen-
system. Der Laufsteg ist überflüssig Tind
würde in der Praxis kaum benutzt, da für
die beim Heben tätigen Personen ein mit
dem Troge fest verbundener, mit diesem
sich hebender und senkender Laufsteg vor-
handen und notwendig ist. Das Bahmen-
system aber ist dem Dreiecksfachwerk
gegenüber in diesem Falle — anders wie bei
Brücken — insofern sachlich besser be-
gründet, als die in dem Bauwerk auftreten-
den Hauplkräflc, aus Trog- und Gegenge-
wichtsbelaslung, rein vertikal gerichtet sind;
was nebenbei noch an Kräften zu berück-
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Ein Problem der Ingenieurästhetik
Am Hohenzollernkanal zwischen Berlin
und Stettin wird zur Entlastung der vielbe-
sprochenen Schleusentreppe ein Schiffs-
hebewerk gebaut, wie es in ähnlichen Ab-
messungen noch nirgends, auch in Amerika
nicht, vorhanden ist: ein Niveauunterschied
von 3- m kann durch dieses Werk in weni-
gen Minuten, durch senkrechtes Heben eines
Troges, der mit dem Schiffe ^200 Tonnen
schwer ist, überwunden werden. Die rein
technische Seile der Aufgabe hat uns hier
nicht zu beschäftigen. Nicht weniger wich-
tig und großartig ist die Frage der formalen
Gestaltung dieses gewaltigen Werkes, das
mit seiner Höhe von über 5o m die Gegend
weithin beherrschen muß. Daß die Behörde
sich ihrer Verantwortung auch dieser Frage
gegenüber bewußt ist, geht daraus hervor,
daß sie vor der Ausschreibung ein Gutach-
ten der ,.Akademie für Bauwesen" über den
von der Verwaltung ausgearbeiteten Yorent-
wurf eingeholt hat, aus dem wir die folgen-
den Sätze abdrucken:
„Wenn auch bei einem solchen Bau-
werk, das seinen berechtigten Charak-
ter eines einer Maschine gleichzuaeh-
tenden Werkes hat, es nicht angängig
erscheint, aus architektonischen Grün-
den ihm irgendwelche zusätzliche For-
men zu geben, so empfiehlt es sich
doch zu prüfen, ob es möglich ist,
ohne Schaden für die Betriebssicher-
heit eine mehr künstlerisch befriedi-
gende Gliederung des Eisengerüstes zu
erreichen,
1. und hauptsächlich durch Fortführung
der Horizontale des Brückenstegs um
das Hebewerk herum. Letzteres würde
dadurch eine wohltuende zweckent-
sprechende Teilung in seiner Höhen-
entwicklung erhalten,
2. durch Anbringen weiterer Streben an
den beiden Stirnseiten, jedoch alle
Streben tunlichst in einer mehr kör-
perlichen flächigen und leicht bogen-
förmigen Gestaltung gegenüber der
vorgesehenen mager und schwächlich
wirkenden des Modells,
3. durch Prüfung, ob es möglich ist, das
Schiffshebewerk durch vollwandige
Ausbildung einzelner Bahmenteile so
zu gliedern, daß dadurch die tragen-
den Konstruktionsteile als solche mehr
betont werden."
Einige dieser Anregungen wurden dann
noch vor der Ausschreibung in einem Ent-
würfe der Begierung, der unseres Wissens
nur von Ingenieuren bearbeitet wurde, be-
rücksichtigt. Wir bilden diesen zweifellos
sehr sorgfällig durchdachten Entwurf ab
und stellen ihm einen anderen gegenüber,
den Hans Poelzig auf Veranlassung der
Firma J. Gollnow & Sohn, Stettin, aus-
gearbeitet hat. Der Vergleich ist un-
gemein lehrreich und erhellend für das
Verständnis der allgemeinsten Probleme
der Ingenieurästhetik. Um die gleich ins
Auge fallenden Unterschiede zuerst zu er-
wähnen : den von der Akademie vorgeschla-
genen, von den Ingenieuren angenommenen
Laufsteg hat Poelzig weggelassen, ebenso
wie die seitlichen Streben, und an Stelle des
komplizierten Dreieckf acbwerks setzt er ein
sehr einfach wirkendes, klares Bahmen-
system. Der Laufsteg ist überflüssig Tind
würde in der Praxis kaum benutzt, da für
die beim Heben tätigen Personen ein mit
dem Troge fest verbundener, mit diesem
sich hebender und senkender Laufsteg vor-
handen und notwendig ist. Das Bahmen-
system aber ist dem Dreiecksfachwerk
gegenüber in diesem Falle — anders wie bei
Brücken — insofern sachlich besser be-
gründet, als die in dem Bauwerk auftreten-
den Hauplkräflc, aus Trog- und Gegenge-
wichtsbelaslung, rein vertikal gerichtet sind;
was nebenbei noch an Kräften zu berück-
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