DIE „WELTMANNISCHE FORM"
Es fehlt für die Bezeichnung und Charakteri-
sierung der neuen Formen, die überall auftreten,
besonders für die Formen der technischen Gerät-
schaften und der Architektur an geeigneten und
geklärten Wort- und Begriffsbildungen. Der
Wortschatz der Kunstbetrachtung des 19. Jahr-
hunderls stellt sich als unzulänglich heraus. Es
herrscht aber auch gegen diese Begriffe geradezu
ein Widerwillen unter den Wortführern der neuen
Gestaltung, und es ist sehr interessant zu beob-
achten, wie man nach und nach versucht, eine
neue Terminologie einzuführen. Es ist nicht
lange her, daß man den Begriff „schmissig" als
Bezeichnung und Weitung von Formen eingeführt
hat. Er hat sich nicht lange gehalten, weil man
sich unter dem Wort doch gar zu wenig vorstellen
kann. Nun kommt ein neuer Begriff auf, der zu-
gleich einen Maßstab abgeben soll, und zwar der
Begriff des „Weltmännischen". Einen nahver-
wandten Begriff hat kürzlich ein Wortführer der
jungen Bewegung gebracht, indem er sagte, daß
die Hotels in Deutschland im Gegensatz zu denen
in Paris keine „Lebensart" hätten. Ist es nicht
merkwürdig, daß auf einmal der neuen Formge-
staltung ein Begriff angelegt wird, der aus einer
Atmosphäre stammt, mit der sie anfänglich gar
nichts zu tun haben wollte. Während Gropius,
Wagner und Taut sich an die breite Masse des
Volkes wenden wollten als an die Schicht, die
jung und unbelastet ist und noch fähig, eine neue
kollektivistische Kultur zu tragen, sieht Häring
den Abnehmer einer idealen neuen zweckmäßigen
Form in den Kreisen der internationalen GeselL
schall, und zwar der Gesellschaft, die „Lebensart"
hat, die „weltmännisch" ist. Es ist immerhin be-
zeichnend, daß heule die neuen Gestalter bei der
Schöpfung ihrer Dinge doch an einen Abnehmer
denken, an eine Schicht von Menschen, die die
Dinge auch brauchen soll und will. Natürlich kon-
struiert man sich dabei, ob man an den Proletarier
oder an den Weltmann denkt, einen Idealtypus
dieser Schicht, den es in Wirklichkeil kaum gibt,
und der sicli in breitem Ausmaß aucli nie heraus-
kristallisieren wird, der vor allem nicht der Durch-
selmiltslvp ist. Aber es ist bezeichnend, daß man
sich doch den Abnehmer und Verbraucher vor-
stellt, daß man die Gestaltung nicht als eine An-
gelegenheit der Auseinandersetzung des schallen-
den Individuums und des Geschaffenen ansieht,
sondern mehr an den Gebrauch, an das A erhältnis
zu dem, der es benutzen soll, denkt. Der Schaf-
fensprozeß tritt hinter dem Gebrauchswerl zurück.
Die IndusIrie muß etwas Ähnliches anstreben.
Sie denkt ja auch immer nur an den Abnehmer.
Seine Bedürfnisse werden durch den Verkäufer
und den Zwischenhändler ständig an sie herange-
tragen, und sie muß darauf Bücksicht nehmen.
Alle Gestaltung muß notwendigerweise sich nach
den Bedürfnissen des Käufers richten. Allerdings
ist ihr Käufer nicht ein konstruierter Idealtyp,
sondern der wirkliche Durchschnittstyp. Aber
diese Annäherung in der Schal'fensabsicht zwischen
Industrie und moderner Gestaltung führt beide
allmählich enger zusammen.
Kürzlich fand eine Besprechung zwischen einem
Vertreter des Bauhauses und einer Gruppe der
Silberwareninduslrie statt, die erkennen ließ, daß
selbst diese Industrie, die doch ihrem ganzen
^ esen nach zu einer anderen Formensprache neigt
als die, die das Bauhaus kündet, den Ideen das
Bauhauses zum mindesten starke Sympathien ent-
gegenbringt, und es ist sehr wahrscheinlich, daß
es auf diesem Gebiet zu einer Zusammenarbeit in
einzelnen Fällen kommen wird.
Bei dieser Besprechung führte ein bekannter
holländischer Silberwarenfabrikanl aus, daß es in
der Silberwarenindustrie noch nicht gelungen sei,
dem maschinell hergestellten Erzeugnis eine eigene
Formensprache zu geben, und daß man immer
noch die Form der Handarbeit auf die maschinell
hergestellten Waren übernimmt. Weiler führte
er aus, daß es ganz falsch sei zu glauben, daß
man sich nach dem Geschmack ausländischer Völ-
ker richten müsse, wenn man ihnen W^aren ver-
kaufen will. Er bewies das an der Ausfuhr von
Silbergerät für Südamerika, die früher die
deutsche Silberwareninduslrie fast ganz in der
Hand hatte, und die dem Südamerikaner Gegen-
stände der Slilform des drillen llokoko verkaufte.
Dann kam der Amerikaner mit seinem einfachen
„Plate" und eroberte den Markt für sich. Auf diese
\\ ahrheiten hat zwar schon Friedrich Naumann
hingewiesen, aber wenn sie heute von einem Fabri-
kanten wiederholt werden, der noch dazu engsten
Kontakt mit seinem Käufer hat, weil er mehrere
Juweliergeschäfte im Ausland unterhält, so ist das
doch ein bedeutsames Zeichen. Der Abnehmer läßt
sich beeinflussen nach der schlechten und nach
der guten Seite hin, aber lieber sicher nach der
guten Seile. Und wenn die Industrie so weitsich-
tig ist, daß sie erkennt, daß die neue Form nicht
eine neue Mode ist, sondern eine neue Gesinnung,
die sich durchsetzen muß, so wird sie auch all-
mählich den richtigen Weg mit Verantwortung
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Es fehlt für die Bezeichnung und Charakteri-
sierung der neuen Formen, die überall auftreten,
besonders für die Formen der technischen Gerät-
schaften und der Architektur an geeigneten und
geklärten Wort- und Begriffsbildungen. Der
Wortschatz der Kunstbetrachtung des 19. Jahr-
hunderls stellt sich als unzulänglich heraus. Es
herrscht aber auch gegen diese Begriffe geradezu
ein Widerwillen unter den Wortführern der neuen
Gestaltung, und es ist sehr interessant zu beob-
achten, wie man nach und nach versucht, eine
neue Terminologie einzuführen. Es ist nicht
lange her, daß man den Begriff „schmissig" als
Bezeichnung und Weitung von Formen eingeführt
hat. Er hat sich nicht lange gehalten, weil man
sich unter dem Wort doch gar zu wenig vorstellen
kann. Nun kommt ein neuer Begriff auf, der zu-
gleich einen Maßstab abgeben soll, und zwar der
Begriff des „Weltmännischen". Einen nahver-
wandten Begriff hat kürzlich ein Wortführer der
jungen Bewegung gebracht, indem er sagte, daß
die Hotels in Deutschland im Gegensatz zu denen
in Paris keine „Lebensart" hätten. Ist es nicht
merkwürdig, daß auf einmal der neuen Formge-
staltung ein Begriff angelegt wird, der aus einer
Atmosphäre stammt, mit der sie anfänglich gar
nichts zu tun haben wollte. Während Gropius,
Wagner und Taut sich an die breite Masse des
Volkes wenden wollten als an die Schicht, die
jung und unbelastet ist und noch fähig, eine neue
kollektivistische Kultur zu tragen, sieht Häring
den Abnehmer einer idealen neuen zweckmäßigen
Form in den Kreisen der internationalen GeselL
schall, und zwar der Gesellschaft, die „Lebensart"
hat, die „weltmännisch" ist. Es ist immerhin be-
zeichnend, daß heule die neuen Gestalter bei der
Schöpfung ihrer Dinge doch an einen Abnehmer
denken, an eine Schicht von Menschen, die die
Dinge auch brauchen soll und will. Natürlich kon-
struiert man sich dabei, ob man an den Proletarier
oder an den Weltmann denkt, einen Idealtypus
dieser Schicht, den es in Wirklichkeil kaum gibt,
und der sicli in breitem Ausmaß aucli nie heraus-
kristallisieren wird, der vor allem nicht der Durch-
selmiltslvp ist. Aber es ist bezeichnend, daß man
sich doch den Abnehmer und Verbraucher vor-
stellt, daß man die Gestaltung nicht als eine An-
gelegenheit der Auseinandersetzung des schallen-
den Individuums und des Geschaffenen ansieht,
sondern mehr an den Gebrauch, an das A erhältnis
zu dem, der es benutzen soll, denkt. Der Schaf-
fensprozeß tritt hinter dem Gebrauchswerl zurück.
Die IndusIrie muß etwas Ähnliches anstreben.
Sie denkt ja auch immer nur an den Abnehmer.
Seine Bedürfnisse werden durch den Verkäufer
und den Zwischenhändler ständig an sie herange-
tragen, und sie muß darauf Bücksicht nehmen.
Alle Gestaltung muß notwendigerweise sich nach
den Bedürfnissen des Käufers richten. Allerdings
ist ihr Käufer nicht ein konstruierter Idealtyp,
sondern der wirkliche Durchschnittstyp. Aber
diese Annäherung in der Schal'fensabsicht zwischen
Industrie und moderner Gestaltung führt beide
allmählich enger zusammen.
Kürzlich fand eine Besprechung zwischen einem
Vertreter des Bauhauses und einer Gruppe der
Silberwareninduslrie statt, die erkennen ließ, daß
selbst diese Industrie, die doch ihrem ganzen
^ esen nach zu einer anderen Formensprache neigt
als die, die das Bauhaus kündet, den Ideen das
Bauhauses zum mindesten starke Sympathien ent-
gegenbringt, und es ist sehr wahrscheinlich, daß
es auf diesem Gebiet zu einer Zusammenarbeit in
einzelnen Fällen kommen wird.
Bei dieser Besprechung führte ein bekannter
holländischer Silberwarenfabrikanl aus, daß es in
der Silberwarenindustrie noch nicht gelungen sei,
dem maschinell hergestellten Erzeugnis eine eigene
Formensprache zu geben, und daß man immer
noch die Form der Handarbeit auf die maschinell
hergestellten Waren übernimmt. Weiler führte
er aus, daß es ganz falsch sei zu glauben, daß
man sich nach dem Geschmack ausländischer Völ-
ker richten müsse, wenn man ihnen W^aren ver-
kaufen will. Er bewies das an der Ausfuhr von
Silbergerät für Südamerika, die früher die
deutsche Silberwareninduslrie fast ganz in der
Hand hatte, und die dem Südamerikaner Gegen-
stände der Slilform des drillen llokoko verkaufte.
Dann kam der Amerikaner mit seinem einfachen
„Plate" und eroberte den Markt für sich. Auf diese
\\ ahrheiten hat zwar schon Friedrich Naumann
hingewiesen, aber wenn sie heute von einem Fabri-
kanten wiederholt werden, der noch dazu engsten
Kontakt mit seinem Käufer hat, weil er mehrere
Juweliergeschäfte im Ausland unterhält, so ist das
doch ein bedeutsames Zeichen. Der Abnehmer läßt
sich beeinflussen nach der schlechten und nach
der guten Seite hin, aber lieber sicher nach der
guten Seile. Und wenn die Industrie so weitsich-
tig ist, daß sie erkennt, daß die neue Form nicht
eine neue Mode ist, sondern eine neue Gesinnung,
die sich durchsetzen muß, so wird sie auch all-
mählich den richtigen Weg mit Verantwortung
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