gegenwärtige Zustand der Friedhöfe ist der eines
völlig uneinigen Gemeinwesens. Die Kunst leidet
als das Gewissen des eigenen Volkes wie die Poli-
tik an der Ideenlosigkeit, also an der ideelichen
Ungebundenheit der Nation. Dabei empfindet
jeder einzelne, daß sich neue Gedanken mit Macht
entwickeln wollen. Wie diese Gedanken sein wer-
den, wird niemand voraussagen können. Das aber
ist sicher wahr, daß diese Gedanken nur lebens-
fähig und zukunftbildend sein werden, wenn sie
von den schlichten Personen des Daseins ausgehen
werden. Eine zugrunde gegangene Überkultur,
die das menschliche Maß vergessen ließ, gebiert
den Menschen neu in seinen primitiven Formen
und Gegebenheiten als das Maß der Dinge. Diese
in Bildhauerei und Malerei bereits überschrittene
Entwicklungsstufe neuer geistiger und künstleri-
scher Gestaltung erlebt bei ihrem ersten Einbruch
in die Belange des talsächlichen Alltagslebens auf
den Friedhöfen und gerade da, wo der Mensch
diese Schlichtheit seiner Formgebung am reinsten
empfinden müßte, ihre stärkste Ablehnung. Wer
die Gewanne des Frankfurter Hauptfriedhofes ge-
sehen hat, die nach der neuen Verordnung gestal-
let sind, und wer dazu die Musteranlage des Ge-
wannes „I" so betrachtete, wie diese Abhandlung
die Entstehung der Reformverordnungen als Aus-
fluß des künstlerischen Gewissens zu erläutern
versuchte, der wird nachempfinden, daß das, was
man Diktatur zu nennen geneigt war, nichts ande-
res ist als die Eingebung künstlerischer Klarheit.
Die Schöpfer des Gewannes „I" mit seinen ein-
fachen Steinen und Stolen und Kissenplatten, Ar-
chitekten, Bildhauer und oben die gesetzgebenden
Organe, empfinden ihre Schöpfung nicht als etwas
Endgültiges. Das ist groß und echt. Aber sie sind
sich klar darüber, daß der Künstler dadurch sein
Wesen beweist, daß er seiner Zeit vorauslebt und
sie voraus gestaltet. Das Wesentliche der Frank-
furter Friedhofsreform ist die Zusammenfassung
der getrennten Grabstätten zu größeren Einheiten,
die in ihrer Gesamtheit Ruhe und Andacht da-
durch auslösen, daß sie in der Gesamtarchitektur,
grabmal- und gartentechnisch, die Erinnerungs-
male getrenntester Menschen zusammenschließen.
Der geschichtliche Beweis früherer Friedhofs-
reformen würde, da man auf die schweizerischen
geistlichen Stadtstaaten, auf die puritanischen
GRABSTEIN, GESCHLIFFENER SANDSTEIN
Schrift vertieft und farbig lasiert, 155 cm hoch,
gefertigt von Sigmund Löwensohn, Fuerth i. B.
186
völlig uneinigen Gemeinwesens. Die Kunst leidet
als das Gewissen des eigenen Volkes wie die Poli-
tik an der Ideenlosigkeit, also an der ideelichen
Ungebundenheit der Nation. Dabei empfindet
jeder einzelne, daß sich neue Gedanken mit Macht
entwickeln wollen. Wie diese Gedanken sein wer-
den, wird niemand voraussagen können. Das aber
ist sicher wahr, daß diese Gedanken nur lebens-
fähig und zukunftbildend sein werden, wenn sie
von den schlichten Personen des Daseins ausgehen
werden. Eine zugrunde gegangene Überkultur,
die das menschliche Maß vergessen ließ, gebiert
den Menschen neu in seinen primitiven Formen
und Gegebenheiten als das Maß der Dinge. Diese
in Bildhauerei und Malerei bereits überschrittene
Entwicklungsstufe neuer geistiger und künstleri-
scher Gestaltung erlebt bei ihrem ersten Einbruch
in die Belange des talsächlichen Alltagslebens auf
den Friedhöfen und gerade da, wo der Mensch
diese Schlichtheit seiner Formgebung am reinsten
empfinden müßte, ihre stärkste Ablehnung. Wer
die Gewanne des Frankfurter Hauptfriedhofes ge-
sehen hat, die nach der neuen Verordnung gestal-
let sind, und wer dazu die Musteranlage des Ge-
wannes „I" so betrachtete, wie diese Abhandlung
die Entstehung der Reformverordnungen als Aus-
fluß des künstlerischen Gewissens zu erläutern
versuchte, der wird nachempfinden, daß das, was
man Diktatur zu nennen geneigt war, nichts ande-
res ist als die Eingebung künstlerischer Klarheit.
Die Schöpfer des Gewannes „I" mit seinen ein-
fachen Steinen und Stolen und Kissenplatten, Ar-
chitekten, Bildhauer und oben die gesetzgebenden
Organe, empfinden ihre Schöpfung nicht als etwas
Endgültiges. Das ist groß und echt. Aber sie sind
sich klar darüber, daß der Künstler dadurch sein
Wesen beweist, daß er seiner Zeit vorauslebt und
sie voraus gestaltet. Das Wesentliche der Frank-
furter Friedhofsreform ist die Zusammenfassung
der getrennten Grabstätten zu größeren Einheiten,
die in ihrer Gesamtheit Ruhe und Andacht da-
durch auslösen, daß sie in der Gesamtarchitektur,
grabmal- und gartentechnisch, die Erinnerungs-
male getrenntester Menschen zusammenschließen.
Der geschichtliche Beweis früherer Friedhofs-
reformen würde, da man auf die schweizerischen
geistlichen Stadtstaaten, auf die puritanischen
GRABSTEIN, GESCHLIFFENER SANDSTEIN
Schrift vertieft und farbig lasiert, 155 cm hoch,
gefertigt von Sigmund Löwensohn, Fuerth i. B.
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