Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 3.1928

DOI Artikel:
Paul, Bruno: Reise-Bericht über New York: vor der Vorstandssitzung in München
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.13709#0263

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Gleichheit durch Proletarisierung, sondern Gleich-
heit durch gesellschaftliche und soziale Hebung.
Eines von vielen Kennzeichen einer solchen sozi-
alen Entwicklung sehe ich im Telephone-Building,
dem 25slöckigen Verwaltungsgebäude der Tele-
phon-Gesellschaft. Es ist von einem deutschen
Architekten, Herrn Gmelin aus Stuttgart, erbaut,
der mir viel seiner kostbaren Zeit geopfert hat,
um mir einige seiner in 40 Jahren aufgebauten
bedeutenden Lebenswerke zu zeigen.

Dieses Verwaltungs-Building beherbergt 6000
Angestellte. Das Haus ist in allen seinen techni-
schen Teilen ein Wunderwerk moderner Bautech-
nik. Den Verkehr bewältigen 26 Aufzüge. Trep-
pen gibt es in diesen Gebäuden für den Verkehr
nicht mehr. Ich selbst habe während meines fünf-
wöchigen Aufenthaltes keine Treppe betreten,
außer Feuertreppen zum Studium bei Bau-
besichtigungen. Besonders bemerkenswerte Ein-
richtungen sind die Bestaurants, die Erholungs-
und Klubräume der Angestellten, die einen Stock
tief unter Straßen-Niveau, also nach unseren Be-
griffen im Keller liegen. Die strahlend hellen,
ausgezeichnet gelüfteten Bäume sind ausgestaltet
und gehalten wie bei uns die besten Bestaurants.
Die Erholungs- und Klubräume gleichen aufs
Haar der Halle eines erstklassigen Hotels. Jeder
Angestellte, sei er Direktor oder Liftboy, hat das
gleiche Recht der Benutzung. Jeder kann den glei-
chen Anspruch auf Höflichkeit und Zuvorkom-
menheit erheben. Auch die Medical-Office im
16. Stock, wo jeder Angestellte eine erste medizi-
nische Behandlung erhallen kann, ist mit seinen
Ärzten und Schwestern und seinen sanitären und
medizinischen Anlagen das Muster einer großen
mit allem Raffinement der Wissenschaft und
Technik eingerichteten Klinik.

Ich betone, daß dieses Telephone-Building neu
und erst vor einem Jahr bezogen ist. Die genann-
ten Einrichtungen sind mustergültig. Sie werden
von den Einrichtungen älterer Büros und Waren-
häuser natürlich nicht erreicht. Sie kennzeichnen
aber die soziale Tendenz und den Geist der Ent-
wicklung dieses Landes.

Bemerkenswert ist auch in diesem Hause das
Streben nach geschmackvollen Farben und For-
men und nach einer leichten hellen und elegan-
ten Gestaltung aller Bäume wie aller Einzelheiten.

Das vorhandene natürliche Schönheilsgefühl
wird durch eine systematische Umleitung zu den
Fragen des guten Geschmacks in den Schulen, in
den Museen und in den Läden gepflegt.

Charakteristisch ist ein Beispiel, womit im „Art-
Director-Club" an dem für mich veranstalteten
Abend einer der Bedner die Wichtigkeit der guten
und geschmackvollen Form auch für die indu-
striellen und kaufmännischen Gebiete kenn-
zeichnete :

Er sagte: „Henry Ford hat eine wunderbare
Organisation der Fabrikation und des Vertriebes
aufgebaut, wie sie in der Geschichte des Handels
großartiger kaum zu finden ist. Dieses Werk eines
genialen kaufmännischen Aufbaues diente einem
Gegenstande, dessen praktischer und technischer
Wert unbestritten ist, dem Ford-Wagen. Trotz-
dem ist das System zusammengebrochen. Der
Gegenstand, dessen Herstellung und Vertrieb die
ganze Organisation diente, der alte Ford-Wagen,
war in der Form — ich betone, nur in der Form
— ungeeignet und der Zeit nicht mehr ent-
sprechend. Und das ganze geschaffene System
wurde durch diesen Mangel an guler Form seines
Objektes unwirksam."

Das natürliche Schönheitsgefühl, bisher sorg-
fältig gepflegt in der äußeren Erscheinung des
Menschen in Sport und Gymnastik und in der
Kleidung, finden wir heute auch in der Ausstat-
tung der Läden und Schaufenster und in der
Schaustellung von Waren überhaupt. Es ist noch
ganz in der Entwicklung begriffen, ist modern
in seinem Ursprung und in seinen Äußerungen
und ganz ohne Belastung durch traditionelle Hem-
mungen. Die nächste Stufe wird die Überwindung
solcher Hemmungen und die Entwicklung einer
bewußt modern gestalteten Wohnung sein. Hotels
und öffentliche Gaststätten folgen von selbst, wo-
bei ich darauf hinweisen möchte, daß die große
Zahl der vielartigen neuen Restaurants und der
sehr beliebten und sehr hübschen Automaten-
Restaurants in aUen Teilen sachlich und mit
bestem Material, also „modern" eingerichtet sind.
Das Bauwesen ist im Eindruck wie in seinem
ganzen Wesen, in seiner Technik und in seinen
Dimensionen so völlig modern mit allen techni-
nisclien und formalen Kennzeichen unserer Zeit,
daß auch die gelegentlichen gotischen oder Be-
naissance-Schinuckteile nichts ändern können. —
So zeigte sich mir New York in seinen Bauten,
seinen Einrichtungen und in der ganzen
Atmosphäre seines Lebens, als die Stadt, deren
Ausdruck den Stempel unserer Zeit in viel stär-
kerem Maße trägt als irgendeine andere bestehende
menschliche Siedlung. Bruno Paul

253
 
Annotationen