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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 3.1928

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Gellhorn, Alfred: Zum Thema der Formung in der Produktion
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https://doi.org/10.11588/diglit.13709#0322

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gen für eine angemessene Darbietung der deut-
schen Produktion und bedarf, wie dargelegt, der
Vorbereitung.

Die Ware

Die Rationalisierungskampagne ist weit genug
gediehen, daß man sich von den Ergebnissen ein-
mal überzeugen möchte. Wenn man im Rheinland
sieht, wie alte, planlos nacheinander entstandene
Industrieanlagen nachträglich durch angefügte
Transportbänder zu einem einigermaßen sinnvol-
len System zusammengefaßt werden, wenn man
die Elektrisierung von Haushalt und Rürobetrieb
betrachtet, wenn man an die Ausschüsse denkt,
die ausgleichen und normen, so erscheint dies alles
geeignet, es einmal als Thema einer Spezialaus-
stellung zu stellen, auch einer übrigens von inter-
nationalem Maßstab. Denn es ist ohne solche Zu-
sammenfassung schwer für einen Besucher etwa
der Leipziger Messe, an das tatsächlich jahrelange
Bestellen einer Rationalisierung der deutschen
Industrie zu glauben. Niemand wird den über-
zeugenden Eindruck gewisser Erzeugnisse der
Transport-, der Werkzeug-, der Elektrizitätsindu-
strie leugnen zu wollen. Zahlenmäßig aber sind
diese eine Minderheit, und mit der allgemeinen
deutschen Kultur, d. h. der Lebensform des klei-
nen Mannes, der Masse der Bevölkerung, haben
sie doch wohl keine unmittelbare Berührung. Was
da in Frage kommt, Grammophone und Klaviere,
Möbel und Bestecke usw., ist weder genormt noch
schön genug. Wir könnten natürlich Besseres
leisten, wenn liier ein wenig Bedacht die Anarchie
ablöste. Die scheußlichen Anstrichfarben für die
Kleinmaschinen der Küche und der Landwirt-
schaft gehören unter dieses Kapitel. Es ist manch-
mal schade bei tüchtigen Konstruktionen, welch
unierfreuliches Gewand sie erhalten haben.

Aber wir haben ein deutsches Kunstgewerbe!
Tatsächlich, es ist ein Segen, daß wir es haben.
Zwar hat man auch hier seine Sorgen. Etwas
zu rasch, um sie schon verdaut haben zu können,
hat man vor der Zweckmäßigkeitsparole kapitu-
liert. Aber die Tatsache allein, daß hier unab-
änderlich künstlerische Kräfte eingesetzt sind, darf
als ausreichend angesehen werden, um etwas mehr
Zutrauen zu gewinnen.

In Leipzig war im Frühjahr neben der Kunst-
gewerbeschau im Grassimuseum eine repräsen-
tative Ausstellung der Franzosen untergebracht,
die bekanntlich Meister in der Möbeltischlerei sind,
und die mit den Erzeugnissen von 20 Lyoner
Seidenfabriken den Blick betörten. Man kann
feststellen, daß neben den Franzosen die deutschen
Gewebe wie auch die Metallarbeiten durchaus be-
stehen konnten, während die Glastechnik noch
rückständig scheint. Die Franzosen machen es sich
leichter. Sie entwerfen ihre Muster naiv und
skrupellos, in der Zeichnung für unseren Ge-
schmack oft fatal, in den Valeurs höchst kulti-
viert, oft überraschend. Bei uns mag im farbigen
Entwurf, verglichen z. B. auch mit den bedruck-
ten Stoffen aus England, wohl eine gewisse Ver-

ausgabung vorliegen. Also auch hier fehlt das
neue Blut durch Zuzug aus der bildenden Kunst,
und zwar ihrer besten, ihrer entwickeltsten Ver-
treter, die darum noch keine Greise zu sein brau-
chen. Der kunstgewerbliche Nachwuchs ist niemals
so weit, und angestellte Kräfte werden auch bei
der besten von Haus aus vorhandenen Begabung
auf Dauer geringwertig.

Neues zeigt sich da aber immerhin in Versuchen
mit ungefärbter Wolle, die aus natürlichem Weiß,
Schwarz, Braun und Grau schöne Dinge ergibt,
und dieses Verweilen in den farblosen Tönen tritt
auch bei Seidengeweben auf: sicherlich ein inner-
lich begründeter Zustand, da man Ähnliches heute
in der zurückhaltender gewordenen Farbgebung
unserer Malerei beobachten kann. Es sind also
Ansätze vorhanden, die zugleich eine Verbindung
mit den entscheidenden Kräften in der Malerei an-
deuten. Es würde sich verlohnen, diesen Zusam-
menhängen allgemein nachzugehen. So wie es hier
für das eine Beispiel der Kultur der Farblosigkcit
notiert wurde. Es kann dem Kunstgewerbe wohl
nichts schaden, wenn solche verstreut (in Naum-
burg, bei München und Hamburg) auftretenden,
höchst interessanten Versuche auf breitere Basis
gestellt würden und damit — keine neue Mode,
bitte! sondern — eine gesunde Zielsetzung
entstände.

Daß Individualkunst als ganz persönliche Aus-
drucksformung nicht die richtige Art ist, bildende
Kunst mit dem auf Vorrat arbeitenden Gewerbe
zu vereinen (etwas anderes ist es bei Aufgaben der
Architektur, wenn sie einmalig sind), beweisen
schlagend dahingehende, an sich in der Absicht
löbliche Versuche einer bekannten Berliner Metall-
warenfabrik, die Wandbeleuchtungen aus kon-
struktivistischen Blechplastiken zeigte. Gewiß hat
sich die Kombination von rein industriell gefer-
tigten Einzelteilen, nämlich Sofittenlampen, Glas-
platten und stereotypen Pappschirmen, mit denen
viel Erfreuliches geschehen ist, rasch überlebt, so
daß Grund genug zur Auffrischung besteht. Aber
die Methode muß eine andere sein. Als z. B. Bei-
img den Auftrag erhielt, der damaligen Mode ge-
mäß eine „expressionistische" Schaufensterpuppe
zu modeUieren, schuf er statt dessen in Erfassung
des darin verborgenen plastischen Problems eine
Standardform.

So fördert der bildende Künstler seine Auftrag-
geber, wenn er frei schaffen darf. Merkt man,
wem die Führung zukommt? Gellliorn

Die Fotos der Gagfah-Siedlung und der Metall-
waren vom Ruppelwerk und von Otto Seyffart
wurden von Curt Rehbein, Berlin, angefertigt.

Anschriften der Mitarbeiter dieses Heftes:

Wilhelm Wagenfeld, Leiter der MetalKverkstatt der Staatl. Hoch-
schule für Handwerk und Haukunst, Weimar

Dr. Büddemann, Direktorial - Assistent der KuiiBtgcwcrbeschule
Stuttgart

Dr. Alfred Gellliorn, Regierungsbaumeister, Berlin W 10, Friedrich-
^ illielmstr. 14

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