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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 3.1928

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Briefe über Ausstellungspolitik und Wirtschaftlichkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.13709#0344

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Wirkung auf das Ausland und — Kultur der
„neuen Zeit". Und nur eines fehlt: Der Über-
fluß, der überflüssige Beigeschmack.

10. So schließe ich: Die praktischen Folgerun-
gen aus den Haltsignalen und Ihrer Erwiderung
darauf nebst heutigen Erläuterungen könnte am
wirksamsten und besten der Deutsche Werkbund
im Jahre 1932 ziehen.

Damit bleibe ich mit freundlichen Grüßen
immer

Ihr ergebenster

Völckers

München, 1. Oktober 1928.

Sehr verehrter Herr Völckers!

Ihr interessantes Schreiben zeigt mir sehr deut-
lich, warum wir über die „Pressa" so verschiede-
ner Meinung sind, und ich bin Ihnen sehr dank-
bar, daß Sie mir diesen ausführlichen Brief ge-
schrieben haben und dabei auf das Wesentliche so
klar und eindeutig eingegangen sind.

Unsere Meinung trennt sich wohl hauptsächlich
bei dem höchst gefährlichen Begriff der Wirt-
schaftlichkeit. Ich weiß genau, daß, wenn ich
geschrieben habe, daß alle Qualität und alle Kul-
tur, alles, was Schönheit heißt, den Beigeschmack
von Überfluß hat, ich eine etwas unvorsichtige
Prägung gewählt habe, die eine sehr leichte An-
griffsmöglichkeil bietet, und es freut mich, daß
Sie gerade durch den Angriff auf diese Stelle mir
Gelegenheit geben, mich darüber noch einmal
etwas eingehender zu äußern. Sie erwähnen das
Beispiel von Haeslers Bauten und haben dieses
Beispiel allerdings besonders glücklich gewählt.
Vielleicht haben Sie auch gewußt, daß Sie damit
mich an etwas erinnern, was mir höchst lieb und
wert geworden ist. Allerdings Sie haben recht.
Haesler kennt kaum etwas Überflüssiges, am aller-
wenigsten aber Überfluß. Wenn wir aber unter
Überfluß nicht nur rein materielle Dinge ver-
stehen, so müssen wir auch die Bauten Haeslers
ein klein wenig anders ansehen. Etwa so: Nehmen
Sie an, es sei ein sehr kalter Bechner und vor-
züglicher Organisator gekommen und hätte ebenso
billige und brauchbare Wohnungen wie Haesler
gebaut. Glauben Sie, daß man sie mit den Schöp-
fungen Haeslers vergleichen könnte? Und glau-
ben Sie, daß die Schönheit der Haeslerschen Bau-
ten, die Sie ja auch sehen und bewundern, nur
das Ergebnis der Einstellung des Architekten auf
die Wirtschaftlichkeit ist? Und weiter: Ist nicht
alle künstlerische Mitarbeit an der Formung von
Industrieprodukten etwas Überflüssiges und etwas,
was über das rein Wirtschaftliche hinausgeht?

Ich glaube doch, daß der Werkbundgedanke
nicht mehr allein auf Sempers Forderungen steht,
oder daß zu den drei Bedingungen der Material-
echtheit, der Zweckgerechligkeit und der Produk-
tionsmäßigkeit der bindende Faktor der Wirt-
schaftlichkeit hinzugekommen ist und daß ein
Produkt, allein aus diesen Faktoren erwachsen,
werkbundgerecht ist.

Nein, ich will wirklich die Wirtschaftlichkeit
als Kulturfaktor nicht ausschließen. Ich erkenne
ihr auch formende Kraft zu, aber ich verlange,
daß sie die richtige Rolle einnimmt, um den Zu-
sammenklang aller Lebensäußerungen einer Zeit
herbeizuführen, den ja auch Sie als Kultur be-
zeichnen. Und das ist der Grund, weshalb ich
mich gegen Ihre Ausführungen gewandt habe.
Eine Ausstellung ist eine Demonstration. Eine
Demonstration entsteht da, wo irgendwelche
künstlerischen und fortschrittlichen Kräfte aus
starkem Kraftgefühl heraus sich zeigen wollen und
Einfluß verlangen. Die Rationalisierung des Aus-
stellungswesens, die ja jetzt durch den Reichs-
kommissar und das Ausstellungs- und Messeamt
der Deutschen Industrie durchgeführt wird, ist
sicherlich sehr heilsam. Es würde aber kultur-
lölend wirken können, wenn diese Stellen, was
glücklicherweise nicht geschieht, nur nach wirt-
schaftlichen Gründen richten würden.

Sie haben recht, sehr verehrter Herr Völckers,
daß ich auch im Fall eines größeren Defizits sagen
würde, daß kulturelle und politische Erfolge einer
Ausstellung die Schulden oder Opfer wert machen.
Und ich kann Ihnen verraten, daß, als ich meinen
Aufsatz schrieb, ich noch mit einem Defizit der
„Pressa" gerechnet habe. Erst nach Fertigstel-
lung meines Aufsatzes erhielt ich die erfreuliche
Nachricht, daß die „Pressa" kein Defizit aufwei-
sen wird und habe daraufhin nur einen Satz des
Aufsatzes geändert.

Nun sagen Sie, daß mein Vergleich mit der Re-
präsentation der Industrie noch mehr hinkt. Ist
das wirklich der Fall? Die Repräsentation der
Industrie bestimmt der Verwaltungsrat und die
Direktion, die doch heute auch meist nur Sach-
walter fremden Kapitals sind. Die Repräsenta-
tion einer Stadt wird bestimmt von ihren geisti-
gen Führern, die sich nicht immer mit den höch-
sten städtischen Verwaltungsstellen decken. Unter-
scheiden sich zwangsmäßig eingetriebene Steuern
von diesem Gesichtspunkt aus wirklich so sehr
von Industriegewinnen?

Das nur als kleine Zwischenbemerkung. Ich
möchte nur noch zum Schluß darauf hinweisen,
daß der Gegenstand unserer Auseinandersetzung
sehr weit über die Frage kultureller Ausstellungs-
politik hinausgreift und letzte Gründe aller Form-
werdung berührt. Es scheint mir nämlich durch-
aus fraglich zu sein, ob alle Gestaltung so eng an
zufällige oder tiefer bedingte zeitliche Zustände
gebunden ist oder ob nicht selbst in den schwer-
sten und materiell ärmsten Zeiten Völker sich
Werte geschaffen haben aus künstlerischem Drang
heraus mit wertvollen Materialien und mit einem
Schaffensauf wand, der ganz im Gegensatz zur Not
der Zeit steht. Auch die Natur, auf die soviel
hingewiesen wird, läßt sich in ihren schönsten
Farben nicht durch Zweckmäßigkeit und gering-
sten Materialaufwand erklären. Um ein Beispiel
aus der Architektur zu nehmen: bedeutet nicht
gerade die höchst unrationelle Gestallung Gor-
busiers für die heutige Architektur eine Auf-

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