den, sondern sind nur formulierte objektive irk-
Iichkeiten. Dabei ist an dieser Stelle nicht zu er-
örtern, ob nicht etwa — wie ebenso häufig und
ebenso irrtümlich angenommen wird — das eine
oder andere Dogma eine formulierte Unwirklich-
keit darstellt; darüber wäre an anderer Stelle zu
sprechen. Wesentlich ist für die Klarstellung des
Wortsinnes allein, daß bei der Aufstellung der
Dogmen nur der Wille bestand, absolute W irklich-
keiten auszusprechen. Genau wie z. B. im Ge-
biete der Mathematik und Physik die Fachautori-
täten, die aus der Natur herausgelesenen Vi irk-
lichkeiten, das sind also meist Gesetzmäßigkeiten,
als „Gesetze" oder „Lehrsätze" aufstellen, genau
so wollen die Dogmen nichts sein, als ebensolche
auf dem Gebiete der Theologie und der dazugehö-
rigen Moral von einer Fachautorität dieses Ge-
bietes abgelesene und dann als „Gesetze" oder
„Lehrsätze" aufgestellte Wirklichkeiten.
Soweit zur Worterklärung.
Das läßt schon vermuten, daß es genau wie auf
dem Gebiete der Mathematik, Physik und Theolo-
gie auch — um wieder auf unser Interessensgebiet
zu kommen — auf dem Gebiete der gestallenden
Kunst objektive geltende Gesetze — Dogmen ■—
gibt.
Das klarste und ältest Frkannte — das Gesetz
des goldenen Schnittes, das wir selber in den
Proportionen unseres Körpers und wohl dadurch
als Maß unseres Schönheitsempfindens in uns tra-
gen, und das vielleicht weiter als wir ahnen durch
das ganze Weltall sich zieht, das z. B., wie ich
unlängst fand, auch bestimmend ist für den m. W.
weitaus günstigsten Fall statischer Konstruktionen
im Hochbau! — ist seit alters her anerkannt.
Es darf deshalb wohl „erstes Dogma" der Schön-
heit genannt werden. Als andere Dogmen wären
zu nennen die Gesetze vom Gleichgewicht der
Baumassen und Flächen, mit dem Sonderfall
„Symmetrie", die Gesetze der Farbwirkungen —
Baumerweiterung durch helle, Baumverengimg
durch dunkle Farbwerte und tausend andere
mehr. All das sind Dogmen!
Das heißt aber nicht, und damit komme ich auf
die Tatsache, die scheinbar Herr Dir. Benner
durch seine Ausführungen betont haben wollte,
daß mit diesen Dogmen und ihrer Anwendung ein
Bezept gegeben ist, das angewandt wie ein Rezept
einer Hausfrau zwangsläufig zu dem Ergebnis
„Kunst" führen muß. Daß wir die unendliche
^ ielseitigkeit der Kunst .ganz in Gesetze fassen
können, so weit sind wir jetzt noch nicht, wenn es
den Menschen überhaupt je vergönnt sein wird,
dies Ziel zu erreichen.
Aber vielleicht kommt wirklich einmal jener
Übermensch, der alle Gesetze der Schönheit be-
herrscht, die Gesetze der Proportion, der Farbe,
der Harmonie und des Contrapostes, die der Musik
und sogar des Geschmackes (der Zunge) und des
Geruches zusammen mit den Gesetzen der Mathe-
matik und der Physik, der uns dann die Schön-
heit Beethovenscher Sonaten mathematisch bewei-
sen wird, die Schönheit des Parthenon ausdrücken
kann in einer mathematischen Formel; er wird
uns errechnen, was unserer Zunge oder unserer
Nase angenehm, was am angenehmsten, ist und er
wird uns die Kunstwerke der Architektur über-
setzen in die Sprache der Musik, der Plastik und
der Malerei, ja aller Künste zugleich. Dies ein
Gedanke, der zugleich die Einheitlichkeit aller
Dinge der scheinbar so unendlich differenzierten
Welt andeutet und damit allerdings für manchen
Menschen vielleicht etwas Phantastisches haben
wird.
Vorerst aber wird die Anwendung der Dogmen
der Kunst immer eine Aufgabe bleiben, die allein
von der intuitiven Feinsinnigkeit des Künstlers
abhängig ist. Alle Großen — und um einen bil-
denden Künstler unserer Zeit zu nennen — auch
Le Corbusier, wissen, daß z. B. die Aufrißregler
— Dogmen irgendeiner Gesetzmäßigkeit, die
ihrerseits die erste Stufe der Schönheit ist — das
bindende Hilfsmittel zwischen Kunst und Wissen-
schaft sind, er erfühlt, wie sie alle, daß bis jener
Übermensch kommt, zwar die Hilfsmittel der
Geometrie und Mathematik zur Vorarbeit in der
Kunst dienen können, ja dienen sollen, das letzte
aber das Werk ahnenden Künstlertums sein muß.
Wenn Le Corbusier den Augenblick der Wahl des
Aufrißlers als den fruchtbarsten und wichtigsten
künstlerischen Augenblick bezeichnet, so sagt er
damit, daß es für diese Wahl, Hilfsmittel in der
Mathematik — noch — nicht gibt, daß also hier
allein erschauende Künstlergabe den Aus-
schlag gibt.
Aber vergessen wir nicht: Auch Pythagoras hat
seinen Lehrsatz, der heute als mathematisches
Dogma allgemein anerkannt ist, nie bewiesen, nur
künstlerisch erschaut! Fritz Fremerey
EINIGES UBER DOGMEN IN RELIGION,
WISSENSCHAFT UND KUNST
Es ist immer leinreich, wenn dem eigentlichen
Sinne eines allzuoft gebrauchten und daher abge-
nutzten Begriffes auf den Grund gegangen wird,
und es ist daher sehr zu begrüßen, daß in den vor-
stehenden Erörterungen einmal klar gesagt wird,
was mit dem Worte „Dogma" nach der Absicht
derer, die dieses Wort geprägt haben, d. h. der
katholischen Kirche, eigentlich gemeint ist: nicht
eine von Menschen ausgedachte Lehre, sondern
eine auf dem Wege göttlicher Offenbarung der
Menschheit mitgeteilte Wahrheit, die also in höch-
stem Grade als ..objektiv" gelten muß. Die katho-
383
Iichkeiten. Dabei ist an dieser Stelle nicht zu er-
örtern, ob nicht etwa — wie ebenso häufig und
ebenso irrtümlich angenommen wird — das eine
oder andere Dogma eine formulierte Unwirklich-
keit darstellt; darüber wäre an anderer Stelle zu
sprechen. Wesentlich ist für die Klarstellung des
Wortsinnes allein, daß bei der Aufstellung der
Dogmen nur der Wille bestand, absolute W irklich-
keiten auszusprechen. Genau wie z. B. im Ge-
biete der Mathematik und Physik die Fachautori-
täten, die aus der Natur herausgelesenen Vi irk-
lichkeiten, das sind also meist Gesetzmäßigkeiten,
als „Gesetze" oder „Lehrsätze" aufstellen, genau
so wollen die Dogmen nichts sein, als ebensolche
auf dem Gebiete der Theologie und der dazugehö-
rigen Moral von einer Fachautorität dieses Ge-
bietes abgelesene und dann als „Gesetze" oder
„Lehrsätze" aufgestellte Wirklichkeiten.
Soweit zur Worterklärung.
Das läßt schon vermuten, daß es genau wie auf
dem Gebiete der Mathematik, Physik und Theolo-
gie auch — um wieder auf unser Interessensgebiet
zu kommen — auf dem Gebiete der gestallenden
Kunst objektive geltende Gesetze — Dogmen ■—
gibt.
Das klarste und ältest Frkannte — das Gesetz
des goldenen Schnittes, das wir selber in den
Proportionen unseres Körpers und wohl dadurch
als Maß unseres Schönheitsempfindens in uns tra-
gen, und das vielleicht weiter als wir ahnen durch
das ganze Weltall sich zieht, das z. B., wie ich
unlängst fand, auch bestimmend ist für den m. W.
weitaus günstigsten Fall statischer Konstruktionen
im Hochbau! — ist seit alters her anerkannt.
Es darf deshalb wohl „erstes Dogma" der Schön-
heit genannt werden. Als andere Dogmen wären
zu nennen die Gesetze vom Gleichgewicht der
Baumassen und Flächen, mit dem Sonderfall
„Symmetrie", die Gesetze der Farbwirkungen —
Baumerweiterung durch helle, Baumverengimg
durch dunkle Farbwerte und tausend andere
mehr. All das sind Dogmen!
Das heißt aber nicht, und damit komme ich auf
die Tatsache, die scheinbar Herr Dir. Benner
durch seine Ausführungen betont haben wollte,
daß mit diesen Dogmen und ihrer Anwendung ein
Bezept gegeben ist, das angewandt wie ein Rezept
einer Hausfrau zwangsläufig zu dem Ergebnis
„Kunst" führen muß. Daß wir die unendliche
^ ielseitigkeit der Kunst .ganz in Gesetze fassen
können, so weit sind wir jetzt noch nicht, wenn es
den Menschen überhaupt je vergönnt sein wird,
dies Ziel zu erreichen.
Aber vielleicht kommt wirklich einmal jener
Übermensch, der alle Gesetze der Schönheit be-
herrscht, die Gesetze der Proportion, der Farbe,
der Harmonie und des Contrapostes, die der Musik
und sogar des Geschmackes (der Zunge) und des
Geruches zusammen mit den Gesetzen der Mathe-
matik und der Physik, der uns dann die Schön-
heit Beethovenscher Sonaten mathematisch bewei-
sen wird, die Schönheit des Parthenon ausdrücken
kann in einer mathematischen Formel; er wird
uns errechnen, was unserer Zunge oder unserer
Nase angenehm, was am angenehmsten, ist und er
wird uns die Kunstwerke der Architektur über-
setzen in die Sprache der Musik, der Plastik und
der Malerei, ja aller Künste zugleich. Dies ein
Gedanke, der zugleich die Einheitlichkeit aller
Dinge der scheinbar so unendlich differenzierten
Welt andeutet und damit allerdings für manchen
Menschen vielleicht etwas Phantastisches haben
wird.
Vorerst aber wird die Anwendung der Dogmen
der Kunst immer eine Aufgabe bleiben, die allein
von der intuitiven Feinsinnigkeit des Künstlers
abhängig ist. Alle Großen — und um einen bil-
denden Künstler unserer Zeit zu nennen — auch
Le Corbusier, wissen, daß z. B. die Aufrißregler
— Dogmen irgendeiner Gesetzmäßigkeit, die
ihrerseits die erste Stufe der Schönheit ist — das
bindende Hilfsmittel zwischen Kunst und Wissen-
schaft sind, er erfühlt, wie sie alle, daß bis jener
Übermensch kommt, zwar die Hilfsmittel der
Geometrie und Mathematik zur Vorarbeit in der
Kunst dienen können, ja dienen sollen, das letzte
aber das Werk ahnenden Künstlertums sein muß.
Wenn Le Corbusier den Augenblick der Wahl des
Aufrißlers als den fruchtbarsten und wichtigsten
künstlerischen Augenblick bezeichnet, so sagt er
damit, daß es für diese Wahl, Hilfsmittel in der
Mathematik — noch — nicht gibt, daß also hier
allein erschauende Künstlergabe den Aus-
schlag gibt.
Aber vergessen wir nicht: Auch Pythagoras hat
seinen Lehrsatz, der heute als mathematisches
Dogma allgemein anerkannt ist, nie bewiesen, nur
künstlerisch erschaut! Fritz Fremerey
EINIGES UBER DOGMEN IN RELIGION,
WISSENSCHAFT UND KUNST
Es ist immer leinreich, wenn dem eigentlichen
Sinne eines allzuoft gebrauchten und daher abge-
nutzten Begriffes auf den Grund gegangen wird,
und es ist daher sehr zu begrüßen, daß in den vor-
stehenden Erörterungen einmal klar gesagt wird,
was mit dem Worte „Dogma" nach der Absicht
derer, die dieses Wort geprägt haben, d. h. der
katholischen Kirche, eigentlich gemeint ist: nicht
eine von Menschen ausgedachte Lehre, sondern
eine auf dem Wege göttlicher Offenbarung der
Menschheit mitgeteilte Wahrheit, die also in höch-
stem Grade als ..objektiv" gelten muß. Die katho-
383