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DIE GARTENKUNST.
XI, 6
des vollendetsten Luxus, die Glorie der Fürsten dar-
stellend. Hinter den Laubwänden zu beiden Seiten
mag sich wohl manches Liebespaar gefunden haben,
mag auch manch ein kecker Page liebeseufzend seiner
Schönen zugeschaut haben.
Vorüber sind die Zeiten, vorüber ist die Pracht.
Und weiter denke ich an eine andere Szene, welche
sich an diesem Orte ereignet hat. Ein blinder König
hat die Stelle des prunkliebenden Kurfürsten einge-
nommen. Verfeinert und veredelt ist der Geschmack
der Zeit. Noch einmal soll das Theater im Freien ge-
schaut werden, um den Dichter der Freiheit, Schiller,
an dieser Stätte zu Worte kommen zu lassen. An
die Stelle tändelnden Liebesspiels ist das hohe drama-
tische Gedicht getreten und an Stelle des Liebesge-
wie Wunderwerke betrachten, aber an diesem poe-
tischen, Märchen und Träume erzählenden Ort achtlos
vorübergehen.
Es ist nicht notwendig, daß jene Zeit wieder er-
steht; es ist nicht notwendig, daß Fürstenwille über
Untertanenkraft verfügt, aber es ist notwendig,
die Kunst jener Zeit zu achten, und, wer es
versteht, wird an solchen stillen einsamen Orten höheren
Genuß und feineres ästhetisches Empfinden haben, als
an den laut sich breit machenden Albernheiten späterer
Zeiten. Möge ein günstiger Stern auch weiterhin über
diesem schönen Stück vornehmer gediegener Kunst
schweben und möge dieses Denkmal verfeinerten Kunst-
genusses mehr noch als bisher bei kunstverständigen
Menschen Beachtung und Würdigung finden.
ifaxztii neZts- efrHeisse iL
J atm
Lageplan des Naturtheaters im Großen Garten zu Herrenhausen bei Hannover.
flüsters von Pagen und Hofdamen erklingt aus kräftiger
Männerbrust das gewaltige Freiheitslied: „Wohlauf,
Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd, in den Kampf, in
die Freiheit gezogen . . . Doch bald erlischt wie-
derum die aufstrahlende Sonne der Pracht und alles
versinkt in tiefen Schlaf. Verödet sind die Stätten,
die der Liebe höchste Lust geschaut, die den Rahmen
für blendendes Fürstentum abgaben. Verwahrlost ist
manches, was dauernder Pflege bedurft hätte. Zer-
trümmert ist wohl manche Steinfigur und krachend ist
mancher Ast abgestorben zur Erde niedergestürzt, bis
die neuere Zeit sich auf ihre Pflicht besann, die alte
Stätte in gutem Zustande zu erhalten.
Der große Park wird heute von Alltagsmenschen
bevölkert, die staunend einen hochgehenden Wasser-
strahl bewundern, die sich über Blumenbeete erfreuen,
die Künsteleien (Sonnenuhren, Muschelgrotten u. a. m.)
Geschichtliche Anmerkungen.
Der „große Garten“ zu Herrenhausen bei
Hannover kann als eine der wenigen bedeutenden
Parkanlagen Deutschlands angesehen werden, in denen
die alte Gartenkunst des 17. und 18. Jahrhunderts
noch fast vollkommen rein erhalten geblieben ist.
Der älteste Teil des Parkes, das jetzt trostlos lang-
weilige und vollkommen schattenlose Parterre ist ur-
sprünglich der Lustgarten gewesen und bereits um
1665 unter dem Herzog Johann Friedrich bei
dem Bau des Lusthauses angelegt. Auch die den
großen Garten in der Längsachse von dem Parterre
bis zum „vollen Mond“ durchschneidende Lindenallee
wird schon aus dieser Zeit stammen. 1675 bis 1676
wurde dann der Plan für die Vergrößerung des Gartens
von dem aus Frankreich verschriebenen Gärtner Henry
Perronet mit dem deutschen Anton Heinrich
DIE GARTENKUNST.
XI, 6
des vollendetsten Luxus, die Glorie der Fürsten dar-
stellend. Hinter den Laubwänden zu beiden Seiten
mag sich wohl manches Liebespaar gefunden haben,
mag auch manch ein kecker Page liebeseufzend seiner
Schönen zugeschaut haben.
Vorüber sind die Zeiten, vorüber ist die Pracht.
Und weiter denke ich an eine andere Szene, welche
sich an diesem Orte ereignet hat. Ein blinder König
hat die Stelle des prunkliebenden Kurfürsten einge-
nommen. Verfeinert und veredelt ist der Geschmack
der Zeit. Noch einmal soll das Theater im Freien ge-
schaut werden, um den Dichter der Freiheit, Schiller,
an dieser Stätte zu Worte kommen zu lassen. An
die Stelle tändelnden Liebesspiels ist das hohe drama-
tische Gedicht getreten und an Stelle des Liebesge-
wie Wunderwerke betrachten, aber an diesem poe-
tischen, Märchen und Träume erzählenden Ort achtlos
vorübergehen.
Es ist nicht notwendig, daß jene Zeit wieder er-
steht; es ist nicht notwendig, daß Fürstenwille über
Untertanenkraft verfügt, aber es ist notwendig,
die Kunst jener Zeit zu achten, und, wer es
versteht, wird an solchen stillen einsamen Orten höheren
Genuß und feineres ästhetisches Empfinden haben, als
an den laut sich breit machenden Albernheiten späterer
Zeiten. Möge ein günstiger Stern auch weiterhin über
diesem schönen Stück vornehmer gediegener Kunst
schweben und möge dieses Denkmal verfeinerten Kunst-
genusses mehr noch als bisher bei kunstverständigen
Menschen Beachtung und Würdigung finden.
ifaxztii neZts- efrHeisse iL
J atm
Lageplan des Naturtheaters im Großen Garten zu Herrenhausen bei Hannover.
flüsters von Pagen und Hofdamen erklingt aus kräftiger
Männerbrust das gewaltige Freiheitslied: „Wohlauf,
Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd, in den Kampf, in
die Freiheit gezogen . . . Doch bald erlischt wie-
derum die aufstrahlende Sonne der Pracht und alles
versinkt in tiefen Schlaf. Verödet sind die Stätten,
die der Liebe höchste Lust geschaut, die den Rahmen
für blendendes Fürstentum abgaben. Verwahrlost ist
manches, was dauernder Pflege bedurft hätte. Zer-
trümmert ist wohl manche Steinfigur und krachend ist
mancher Ast abgestorben zur Erde niedergestürzt, bis
die neuere Zeit sich auf ihre Pflicht besann, die alte
Stätte in gutem Zustande zu erhalten.
Der große Park wird heute von Alltagsmenschen
bevölkert, die staunend einen hochgehenden Wasser-
strahl bewundern, die sich über Blumenbeete erfreuen,
die Künsteleien (Sonnenuhren, Muschelgrotten u. a. m.)
Geschichtliche Anmerkungen.
Der „große Garten“ zu Herrenhausen bei
Hannover kann als eine der wenigen bedeutenden
Parkanlagen Deutschlands angesehen werden, in denen
die alte Gartenkunst des 17. und 18. Jahrhunderts
noch fast vollkommen rein erhalten geblieben ist.
Der älteste Teil des Parkes, das jetzt trostlos lang-
weilige und vollkommen schattenlose Parterre ist ur-
sprünglich der Lustgarten gewesen und bereits um
1665 unter dem Herzog Johann Friedrich bei
dem Bau des Lusthauses angelegt. Auch die den
großen Garten in der Längsachse von dem Parterre
bis zum „vollen Mond“ durchschneidende Lindenallee
wird schon aus dieser Zeit stammen. 1675 bis 1676
wurde dann der Plan für die Vergrößerung des Gartens
von dem aus Frankreich verschriebenen Gärtner Henry
Perronet mit dem deutschen Anton Heinrich