XI, 6
DIE GARTENKUNST.
105
Die Wissenschaft allein kann uns nie mehr als
Fingerzeige geben. Was Lange Urgarten nennt, war
überhaupt kein Garten im künstlerischen Sinne, so wenig
wie etwa heute eine Baumschule es ist. Erst in dem
Moment, wo der Mensch als bewußter Herr der Natur
gegenübertrat und ihr Material seinen Intentionen gemäß
verwertete, begann die Kunst. Die Pflanze hat keines-
wegs das gleiche Recht im Garten wie wir selbst, aber
indem wir ihr gestatten, sich ihrer Eigenart gemäß
zu entwickeln, also ihre volle Schöne zur Entfaltung zu
bringen, steigern wir ihren Wert für unsere künstleri-
schen Zwecke. Das heißt keineswegs, daß wir immer
sie so zeigen müssen, wie sie in der Natur uns' ent-
gegentritt, nein, wir können sie ganz loslösen aus
ihrem natürlichen Verbände, was ja in jeder architek-
tonischen Anlage geschieht. Und gerade indem wir
dies tun, bringen wir oft erst ihre künstlerischen
Wesenszüge zur Geltung. Der Künstler ist Neu-
gestalter und damit Herrscher über sein Material.
Dem widerspricht durchaus nicht Goethes Wort:
„In der Kunst kommt alles darauf an, daß die Objekte
rein aufgefaßt und ihrer Natur gemäß behandelt
werden“, welches Wort Lange immer wieder zur
Stütze seiner Anschauungen heranzieht. So weit ich
Goethe kenne, scheint er mir von Lange keineswegs
nicht immer glücklich interpretiert zu werden. Doch
ich will heute durchaus keine Polemik mit Lange ent-
fesseln. Ich weiß, daß unsere Weltanschauungen sich
nicht decken und überlasse es dem Urteil Berufener,
wer von uns mit mehr Recht Goethe für sich in An-
spruch nehmen könnte. Ich betone nur, daß ich dem
Künstler Lange auf seinen Wegen nicht folgen kann.
Er verlangt, wie das Kapitel „Leitmotiv“ in seinem
Buche lehrt, in gewisser Weise von einem Garten-
kunstwerk Dinge, die man durch dasselbe gar nicht
oder nur ganz andeutungsweise wiedergeben kann und
damit begibt er sich auf Gebiete höchst schwieriger
Art. Wenn er dann gar (im „Tag“ 6. Dezember 1907)
davon spricht, daß der landschaftliche Garten, der
Pflanzengemeinschaften in künstlerischer Steigerung im
Schleier der Poesie bildet, so recht der Platz sei,
christliche Liebe zu betätigen und wenn er sagt: der
Gartenkünstler hilft und schlichtet mit Liebe den
Kampf, der in der Natur auch unter den Pflanzen
wütet, und hat ein Paradies voll Gedanken und Tat in
einem Garten, was dann Kunst, große erhebende Kunst
ist-wenn Lange so etwas ausführt, so muß
ich mich bescheiden und sagen: hier kann ich nicht
mit ihm gehen. Das, was ich große erhebende Kunst
nenne und was, um von Lange zitierte Künstlernamen
anzuführen, ein Klinger, Wagner, Böcklin, Wolf,
Moericke oder Goethe geschaffen haben, das ist denn
doch recht wesensverschieden von Gartenkunst und
ich sehe nicht ein, wie wir gerade durch den Garten
die wissenschaftliche Weltanschauung im Einklang mit
den höchsten Forderungen der Kunst und Sittlichkeit
unserer Zeit und mit dem wiedererwachenden Evan-
gelium der Liebe verkörpern wollen. — — —
Ich möchte heute nur noch auf eines kurz zu
sprechen kommen, auf das, was ich in meinem zweiten
Buche „Landschaftlich architektonische Gestaltungs-
weise“ genannt habe. Ich bin dabei von vielen
Kritikern völlig mißverstanden worden. Was ich
hervorheben wollte war, daß man einen Park als
Künstler nicht strikt wissenschaftlich naturwahr zu ge-
stalten braucht. Die Naturwahrheit im Sinne von
Lange ist keine conditio sine qua non für die Land-
schaftsgestaltung. Diese Naturwahrheit ist vor allem
ein Hilfsmittel, das alle diejenigen verwenden müssen,
deren angeborene künstlerische Gestaltungskraft nur
beschränkt ist. Sie ist ein Erziehungsmittel für junge,
noch nicht genügend selbständige Geister. Der reife
große Gartenkünstler braucht sich nicht an wissen-
schaftliche Vorschriften zu klammern, er kann seinem
Instinkt folgen, kann seiner Intuition gemäß ge-
stalten und sich dabei als Herrscher und Neuschöpfer
zeigen.
Solche Künstler waren bei uns z. B. Sckell und
Fürst Pückler, um die bekanntesten zu nennen, in
meinem Buche habe ich auf weitere hingewiesen, und
als solcher zeigt sich auch Graf Silva Tarouca. Ihre
Werke haben ihre eigene Prägung und sind nicht aus
irgend welchen Theorien herausgeboren.
Dagegen mangelte die für diese künstlerisch freie
Gestaltungsweise nötige Fähigkeit manchem unter den
Neueren — Namen brauche ich wohl kaum zu nennen —,
deren Werke, obschon sie vielfach Schule gemacht
haben, durchaus nicht in meinem Sinne künstlerisch
landschaftlich-architektonisch gestaltet sind. Sie fußen
vielmehr in ihren Prinzipien auf Theorien, denen
wiederum die naturwissenschaftlich wahre Grundlage
fehlt, welche die Langeschen auszeichnet.
Der objektiv unbefangene Betrachter unserer Park-
gestaltung sieht verschiedene Richtungen in Tätigkeit,
die sich an und für sich scharf scheiden, deren Werke
sich aber naturgemäß äußerlich ähneln. Es bleibt
somit immer in hohem Grade dem künstlerischen Er-
messen des Kritikers anheimgestellt, wie er das einzelne
Werk bewertet. Es ist auch ganz zwecklos, in der
verschiedenen Bewertung polemische oder persönliche
Auslassungen zu sehen, denn aus jeder Kritik darf nur
die künstlerische Überzeugung sprechen, und diese
wird je nach der Individualität des Betrachters ver-
schiedenartig sein. Ich bitte die Leser, das auf jeden
Fall im Auge zu behalten und zu beachten, daß meine
Zeilen lediglich dazu anregen sollen, daß man an
Gartenkunstdinge ohne einseitige Voreingenommenheit
herantritt.
Zur Frage der Hamburger Stadtparks.
In einer Zeit, wo allüberall neue Strömungen machtvoll
sich durchzusetzen streben und insbesondere auf allen Gebieten
künstlerischen Schaffens gegen das vielfach zu hohler Form
gewordene Alte der Kampf eingesetzt hat, braucht man sich
nicht zu wundern, daß eine Frage, wie die der Schaffung eines
DIE GARTENKUNST.
105
Die Wissenschaft allein kann uns nie mehr als
Fingerzeige geben. Was Lange Urgarten nennt, war
überhaupt kein Garten im künstlerischen Sinne, so wenig
wie etwa heute eine Baumschule es ist. Erst in dem
Moment, wo der Mensch als bewußter Herr der Natur
gegenübertrat und ihr Material seinen Intentionen gemäß
verwertete, begann die Kunst. Die Pflanze hat keines-
wegs das gleiche Recht im Garten wie wir selbst, aber
indem wir ihr gestatten, sich ihrer Eigenart gemäß
zu entwickeln, also ihre volle Schöne zur Entfaltung zu
bringen, steigern wir ihren Wert für unsere künstleri-
schen Zwecke. Das heißt keineswegs, daß wir immer
sie so zeigen müssen, wie sie in der Natur uns' ent-
gegentritt, nein, wir können sie ganz loslösen aus
ihrem natürlichen Verbände, was ja in jeder architek-
tonischen Anlage geschieht. Und gerade indem wir
dies tun, bringen wir oft erst ihre künstlerischen
Wesenszüge zur Geltung. Der Künstler ist Neu-
gestalter und damit Herrscher über sein Material.
Dem widerspricht durchaus nicht Goethes Wort:
„In der Kunst kommt alles darauf an, daß die Objekte
rein aufgefaßt und ihrer Natur gemäß behandelt
werden“, welches Wort Lange immer wieder zur
Stütze seiner Anschauungen heranzieht. So weit ich
Goethe kenne, scheint er mir von Lange keineswegs
nicht immer glücklich interpretiert zu werden. Doch
ich will heute durchaus keine Polemik mit Lange ent-
fesseln. Ich weiß, daß unsere Weltanschauungen sich
nicht decken und überlasse es dem Urteil Berufener,
wer von uns mit mehr Recht Goethe für sich in An-
spruch nehmen könnte. Ich betone nur, daß ich dem
Künstler Lange auf seinen Wegen nicht folgen kann.
Er verlangt, wie das Kapitel „Leitmotiv“ in seinem
Buche lehrt, in gewisser Weise von einem Garten-
kunstwerk Dinge, die man durch dasselbe gar nicht
oder nur ganz andeutungsweise wiedergeben kann und
damit begibt er sich auf Gebiete höchst schwieriger
Art. Wenn er dann gar (im „Tag“ 6. Dezember 1907)
davon spricht, daß der landschaftliche Garten, der
Pflanzengemeinschaften in künstlerischer Steigerung im
Schleier der Poesie bildet, so recht der Platz sei,
christliche Liebe zu betätigen und wenn er sagt: der
Gartenkünstler hilft und schlichtet mit Liebe den
Kampf, der in der Natur auch unter den Pflanzen
wütet, und hat ein Paradies voll Gedanken und Tat in
einem Garten, was dann Kunst, große erhebende Kunst
ist-wenn Lange so etwas ausführt, so muß
ich mich bescheiden und sagen: hier kann ich nicht
mit ihm gehen. Das, was ich große erhebende Kunst
nenne und was, um von Lange zitierte Künstlernamen
anzuführen, ein Klinger, Wagner, Böcklin, Wolf,
Moericke oder Goethe geschaffen haben, das ist denn
doch recht wesensverschieden von Gartenkunst und
ich sehe nicht ein, wie wir gerade durch den Garten
die wissenschaftliche Weltanschauung im Einklang mit
den höchsten Forderungen der Kunst und Sittlichkeit
unserer Zeit und mit dem wiedererwachenden Evan-
gelium der Liebe verkörpern wollen. — — —
Ich möchte heute nur noch auf eines kurz zu
sprechen kommen, auf das, was ich in meinem zweiten
Buche „Landschaftlich architektonische Gestaltungs-
weise“ genannt habe. Ich bin dabei von vielen
Kritikern völlig mißverstanden worden. Was ich
hervorheben wollte war, daß man einen Park als
Künstler nicht strikt wissenschaftlich naturwahr zu ge-
stalten braucht. Die Naturwahrheit im Sinne von
Lange ist keine conditio sine qua non für die Land-
schaftsgestaltung. Diese Naturwahrheit ist vor allem
ein Hilfsmittel, das alle diejenigen verwenden müssen,
deren angeborene künstlerische Gestaltungskraft nur
beschränkt ist. Sie ist ein Erziehungsmittel für junge,
noch nicht genügend selbständige Geister. Der reife
große Gartenkünstler braucht sich nicht an wissen-
schaftliche Vorschriften zu klammern, er kann seinem
Instinkt folgen, kann seiner Intuition gemäß ge-
stalten und sich dabei als Herrscher und Neuschöpfer
zeigen.
Solche Künstler waren bei uns z. B. Sckell und
Fürst Pückler, um die bekanntesten zu nennen, in
meinem Buche habe ich auf weitere hingewiesen, und
als solcher zeigt sich auch Graf Silva Tarouca. Ihre
Werke haben ihre eigene Prägung und sind nicht aus
irgend welchen Theorien herausgeboren.
Dagegen mangelte die für diese künstlerisch freie
Gestaltungsweise nötige Fähigkeit manchem unter den
Neueren — Namen brauche ich wohl kaum zu nennen —,
deren Werke, obschon sie vielfach Schule gemacht
haben, durchaus nicht in meinem Sinne künstlerisch
landschaftlich-architektonisch gestaltet sind. Sie fußen
vielmehr in ihren Prinzipien auf Theorien, denen
wiederum die naturwissenschaftlich wahre Grundlage
fehlt, welche die Langeschen auszeichnet.
Der objektiv unbefangene Betrachter unserer Park-
gestaltung sieht verschiedene Richtungen in Tätigkeit,
die sich an und für sich scharf scheiden, deren Werke
sich aber naturgemäß äußerlich ähneln. Es bleibt
somit immer in hohem Grade dem künstlerischen Er-
messen des Kritikers anheimgestellt, wie er das einzelne
Werk bewertet. Es ist auch ganz zwecklos, in der
verschiedenen Bewertung polemische oder persönliche
Auslassungen zu sehen, denn aus jeder Kritik darf nur
die künstlerische Überzeugung sprechen, und diese
wird je nach der Individualität des Betrachters ver-
schiedenartig sein. Ich bitte die Leser, das auf jeden
Fall im Auge zu behalten und zu beachten, daß meine
Zeilen lediglich dazu anregen sollen, daß man an
Gartenkunstdinge ohne einseitige Voreingenommenheit
herantritt.
Zur Frage der Hamburger Stadtparks.
In einer Zeit, wo allüberall neue Strömungen machtvoll
sich durchzusetzen streben und insbesondere auf allen Gebieten
künstlerischen Schaffens gegen das vielfach zu hohler Form
gewordene Alte der Kampf eingesetzt hat, braucht man sich
nicht zu wundern, daß eine Frage, wie die der Schaffung eines