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Die Gartenkunst — 11.1909

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Schneider, Camillo: Über die landschaftliche Gartengestaltung von heute: kritische Rück- und Ausblicke
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https://doi.org/10.11588/diglit.49259#0108

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104

DIE GARTENKUNST.

XI, G

dem er seine schöne Reihe höchst lehrreicher und
prächtig illustrierter Betrachtungen eröffnete, erhielt ich
die Überzeugung, daß hier ein neuer Kämpfer in die
Gartenkunst-Arena trete, welcher mit guten Geistes-
waffen ausgerüstet war. Mir gefiel von Anfang an die
Art seiner Naturschilderungen, worin er sich als ein
ausgezeichneter Beobachter erweist. Sein späteres Ein-
treten für die weitgehende Berücksichtigung und Ver-
wertung alles dessen, was die moderne Pflanzenöko-
logie und -Geographie uns lehrt, in der Gartenkunst,
schien mir sehr richtig und regte mich in verschiedener
Weise an, bereits begonnene botanische Studien zu
erweitern. Ich möchte aber ausdrücklich betonen, daß
ich vom künstlerischen Standpunkte aus die Gar-
tengestaltung stets abweichend von Lange betrachtet
habe. Schon mein Artikel im zweiten Aprilheft des
„Kunstwart“ 1901 bringt diese meine anders geartete
Anschauungsweise zum Ausdruck, ohne daß ich dabei
zu Lange schon Stellung nehme, da ich ihn damals
noch nicht persönlich und seine Anschauungen nur
bruchstückweise kannte.
Erst sein Anfang 1907 erschienenes, den meisten
Lesern der „Gartenkunst“ gewiß genügend bekanntes
Buch „die Gartengestaltung der Neuzeit,“ welches, wie
es im Vorwort heißt, „die Kunstbestrebungen unserer
Zeit und die gärtnerische Fachkenntnis vereint im Garten
zu künstlerischer Gestaltung führen will,“ gibt eine
Synthese seiner Anschauung. An das, was Lange hier
sagt, werde ich mich halten, wenn ich jetzt versuche,
darzulegen, wie ich ihn auffasse. Ich kann natürlich
im Rahmen eines Artikels nicht so eingehend alles
behandeln, wie es nötig wäre, muß aber auf jeden Fall
dort beginnen, wo gleich am Anfang unsere Wege sich
scheiden.
Lange beginnt mit der Darlegung der Entwicke-
lungsgeschichte des „Gartens“ vom „Urgarten,“ der
nur ein umzäumtes Stück Land zum Zwecke der Pflan-
zenzucht war, zum „geometrischen“ und „architektoni-
schen Kunstgarten,“ denen als letzte Entwickelungs-
stufe der „landschaftliche Garten“ folgte. Im Urgarten
lebte der Mensch unter dem Zwange der Natur, im
Kunstgarten war ein Zustand geistiger Entwickelung
erreicht, der ein Herrentum über die Natur voraussetzte.
Die natürliche Gartengestaltung nun soll dem modernen
Pflichtbewußtsein auf Grund aller Errungenschaften in
wissenschaftlicher, künstlerischer und ethischer Bezie-
hung entsprechen. Es ist nicht leicht, zu verstehen, was
Lange eigentlich mit dem letzten Worten sagen will.
Sehr bezeichnend sind für ihn ferner folgende Worte,
die sehr bestechend klingen: „Wenn die Pflanze im
Garten das gleiche Recht hat wie wir selbst, dann
stellt sie an uns die Forderung, daß wir ihr den Stand-
ort schaffen, den sie von Natur braucht, nicht nur in
bezug auf ihre körperlichen Bedürfnisse, sondern auch
in Rücksicht auf das, was wir die Seele der Pflanze
nennen. Und die künstlerische Auffassung von der
Beseelung der Pflanze und der Natur fordert, daß auf
einem charakteristischen Standort sich auch die Pflanzen

im Garten zusammenfinden, die in der Natur zu cha-
rakteristischen Genossenschaften vereint uns entgegen-
treten. Haben wir nun die Natur belauscht und im
Garten nachgeschaffen, so haben wir im besten Falle
ein Stück Natur, das nach unserer Art, malerisch zu
sehen, auch schön sein kann, aber im besten Falle
Natur, nicht Kunst. „Kunst“ aber heißt „Steigerung
der Natur“: in unserer Zeit Steigerung der Natur in-
nerhalb der Gesetze von Ursache und Wirkung. — Immer
ist der Garten ein umzäuntes Stück der Landschaft, in
der er liegt. Aus ihr entnehmen wir also die Gestal-
tungsmotive und werden so eine Verschiedenheit der
Gärten erreichen, wie wir eine Verschiedenheit der na-
türlichen Landschaftscharaktere besitzen. Auch alles
einzelne im Garten wird durch Kunst eine Steigerung
sein gegenüber der Natur. Die Pflanzen im besonderen
werden im deutschen Garten zwar nach deutschen
Vorbildern und deutschen Charaktergenossenschaften
vereinigt sein, aber die einzelnen Arten sind in ihrer
Erscheinung zu steigern, indem wir einzelne deutsche
Arten ersetzen durch ähnliche, aber nach unserer Auf-
fassung schönere Arten (oder Zuchtabweichungen)
außerdeutscher Länder, in der Voraussetzung, daß sie
in ihrer Heimat einem gleichen oder ähnlichen Standort
angehören. Mit einem Wort: die Physionomie der
deutschen Landschaft wird innerhalb ihres Eindruckes
durch außerdeutsche ähnliche Charaktere zu steigern
sein.“
Ich habe mit Willen diesen langen Passus wieder-
gegeben, weil er in gewisserWeise dieQuintessenzdessen
wiedergibt, was Lange will. Er geht dabei, wie er auch
an anderer Stelle betont, von der Anschauung aus, daß
die Wissenschaft die Ernährerin aller Künste sei. Das
nun halte ich für meine Person für den Grundirrtum
seiner ganzen Auffassung. Er mißversteht das Wesen
der Kunst. Die Wissenschaft, in unserem Falle die
Naturwissenschaft, hat an und für sich mit Kunst gar
nichts zu tun. Künstlerisches Schauen und wissen-
schaftliche Erkenntnis sind nicht ein und dasselbe.
Bereits in meinem ersten Buche (1904) sagte ich: „Auch
in Gartenanlagen, wie wir sie im Geiste unserer Zeit
gestalten wollen, muß, wenn ich mich so ausdrücken
darf, der Naturwille dem Menschenwillen sich beugen.
Freilich dem Willen eines Künstlers, der mit seinem
Werke fühlt, der in dem, was er schafft, lebt. Eines
Künstlers, der die Wesenszüge für sein Werk aus dem
Material herausholt und nicht Eigenschaften darin zum
Ausdruck bringen will, die diesem fremd sind. Wir
werden heute keine „Räume“ mehr aus haushohen
Hecken „bauen“, denn das heißt das Material der
Pflanze vergewaltigen, ihm seine Individualität rauben.
Nur so weit wird es sich unserem Willen fügen
müssen, daß es ohne den Schein gewaltsamen Zwanges
unsere Idee verwirklichen hilft. Aber jene Grenze,
da die Kunst aufhört und die Künstelei beginnt, läßt
sich verstandesgemäß nicht erschließen, die errät
allein das unwägbar feine Empfinden der Künstler-
seele.“
 
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