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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 16.1905

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Scheffers, Otto: Das Neue um jeden Preis
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https://doi.org/10.11588/diglit.7502#0113

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INNEN - DEK OR ATION

IOI

W

Das Neue um jeden Preis.

Von Otto Scheffers —Dessau.

ir können es uns nicht versagen, diesen Auf-
satz hier zum Abdruck zu bringen, obwohl
die Ansichten des Verfassers in mancherlei

•nsicht in Widerspruch zu unseren eigenen An-
Schauungen stehen, soweit diese den Kern unseres
redaktionellen Programmes berühren. So nehmen
*lr namentlich einen andern Standpunkt ein in der
Erteilung des Wertes von Wettbewerben an sich
|ind über die Stellung der Preisrichter zu der sogen.

r,ginalitäts-Frage, die unseres Erachtens unbedingt
ausschlaggebend bleiben muss, wenn sonst der Ent-
wurf allen notwendigen Ansprüchen in der künst-
r'schen Durcharbeitung, an Material, Technik und
Wistik gerecht wird. Aber des weiteren bietet der

Auf
den

satz noch so viel des Beachtenswerten, das auch
anders Denkenden lebhaft interessieren und

gegebenen Falles zur Korrigierung seiner eigenen
e'nung führen kann. Wir sind noch immer in
^er Gährung, noch immer im Kampf, und deshalb
a"n eine offene Behandlung aller strittigen Punkte
nilr förderlich sein.

* *
*

k Charakteristisch für unsere Zeit ist es, dass
1 Preisausschreiben fast immer direkt oder in-
rekt der Wunsch nach Erlangung möglichst
°ngineller Entwürfe zum Ausdruck gebracht wird
und dass bei Wettbewerb-Entscheidungen die Preis-
echter unwillkürlich diejenigen Entwürfe bevor-
2ugen, die möglichst wenig Anknüpfungspunkte
die Arbeiten anderer Künstler verraten. Da
die sämtlichen Arbeiten solcher Wettbewerbe
^gestellt werden, so haben auch Nichtpreisrichter
^aufjg Gelegenheit, sich von der eben angeführten
atsache zu überzeugen.

Die Gepflogenheit unserer Preisrichter wird
wenn man einen Rückblick auf die
Unstäusserungen der yoiger, Soiger und goiger
. re des vorigen Jahrhunderts wirft, wenn man
nt> mit welcher Skrupellosigkeit man damals
ne sonderliche Berücksichtigung des Zweckes
des Materials des zu schmückenden Gegen-
auf CS ^e Einzelheiten vorhandener Kunstwerke
auf neUe übertrug- Heute, nachdem der Sturm, der
dem Gebiete des Kunstgewerbes wütete, sich

auf^ ^at' ^ragt es sic^' ob diese Rucksicntnahme
das Neue um jeden Preis noch am Platze ist.

k . Eine Reihe von jungen Künstlern, deren Ar-
e'ten vor fünf Jahren noch als ungeheuer originell

kj.. Gn' kat sich heute ziemlich ausgegeben. Durch-
attern wir die modernen Kunstzeitschriften, so

finden wir, dass viele neuere Arbeiten dieser
Künstler sich kaum noch über das Durchschnitts-
maß modernen Kunstschaffens erheben, dass die
Publikation dieser Arbeiten oft wohl nur noch auf
den Nimbus des Namens zurückzuführen ist. Die
meisten dieser Künstler waren ursprünglich keine
Kunstgewerbler, sie waren deshalb frei von einer
gewissen Ängstlichkeit oder sagen wir besser
Gewissenhaftigkeit, die jedem anhaftet, der ein
Fach gründlich erlernt hat. Die Neuerer setzten
sich ohne weiteres über Regel und Tradition hin-
weg und wurden so, da sie gerade rechtzeitig auf-
traten, d. h. zu einer Zeit, in welcher die Tradition
ein Hemmschuh für die Weiterentwickelung ge-
worden war, zu wahren Wohltätern. Ihre Originalität
beruhte auf dem Sich-Hinwegsetzen über den da-
maligen Geschmack. Statt bei der Renaissance
machten sie bewusst oder unbewusst anderswo
Anleihen, z. B. bei der prähistorischen Kunst, bei
den Japanern und Amerikanern, denn »keine
Phantasie«, so heisst es in Drbals Psychologie,
»und wäre sie die kühnste, vermag neue einfache
Vorstellungen hervorzubringen, z. B. einen neuen
Ton, eine neue Farbe oder Tastempfindung, einen
neuen Geruch oder Geschmack; das Neue, das sie
liefert, besteht immer nur in der Hervorbringung
neuer Verbindungen und scheinbarer Trennungen
in dem vorhandenen Vorstellungskreise jedes Indi-
viduums ; die bereits gebildeten Vorstellungsgruppen
und Reihen werden teils durch blossen Ausfall,
teils durch Einschiebung, teils durch veränderte
Stellung der Bestandteile mehr oder minder um-
gebildet.« Dass aber eine Phantasie, die sich mit
einer gewissen — man verzeihe das harte Wort —
Frechheit paart, vor der Phantasie desjenigen, der
absichtlich an alten Gewohnheiten und vielleicht
unabsichtlich an Vorurteilen aller Art festhält, einen
besonderen Vorzug haben sollte, ist nicht anzu-
nehmen. Auch die Phantasie des Rücksichtslosen
muss sich erschöpfen, auch die Sucht nach dem
Neuen um jeden Preis ist eine Modesache. Einige
Anzeichen deuten schon darauf hin, dass diese
Mode bereits wieder im Absterben begriffen ist.
Ist sie aber vorüber, dann müssen auch die Kühnsten
sich der Gewohnheit des Publikums fügen. Sie
stehen dann vor der Wahl, entweder immer wieder
ohne aber Anklang zu finden, »scheinbar« Neues
um jeden Preis zu schaffen oder die auf Grund
ihrer gewaltsamen Experimente gewonnenen Er-
fahrungen zur Ausgestaltung von immer zweck-
 
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