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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 16.1905

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Jaumann, Anton: Das Bild als Zimmer-Schmuck
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https://doi.org/10.11588/diglit.7502#0165

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154

INNEN -DEKORATION

Das Bild als Zimmer-Schmuck.

Das Bild ist kein seltener Gast in unseren
Räumen. Unser Auge sucht und erwartet
es an den Wänden, und wundert sich, wenn
es fehlt. Es ist ein fester Bestandteil der bürger-
lichen Einrichtung geworden, eine Konvention, die
sich um so tiefer eingewurzelt hat, als sie der
modischen Sucht entgegenkommt, das Zimmer vor
allem voll und üppig erscheinen zu lassen. So
erfreulich sie ist, und so notwendig für das Ge-
deihen der Kunst, diese abendländische Lust am
Bilde, so bedenklich und unkünstlerisch zugleich
ist auf der andern Seite die Manier des Füllens
und Ausstaffierens und die Furcht vor der Wand.
Der moderne Wohnungskünstler wird also, bei der
kolossalen Überschwemmung des Marktes mit
billigen Reproduktionen und Photographien und
der ausgesprochen grossen Aufnahmebereitschaft
des Publikums, nicht umhin können, auch diesem
wichtigen Mittel der Innendekoration, dem Bild in
seiner Funktion als Zimmerschmuck, eine erhöhte
Beachtung zu schenken.

Fassen wir das Interieur als organische Ein-
heit, so ist klar, dass das Bild nicht zu den für
das Leben und Arbeiten dieses Organismus un-
bedingt notwendigen Gliedern gehört. Das Zimmer
kann allen Anforderungen des Geschmackes und
der Wohnlichkeit genügen ohne Bild. Es kann
sogar reich, vornehm, kostbar ausgestattet, es kann
ein vollkommenes Kunstwerk sein, — ohne bild-
lichen Schmuck. Ja, manche Bilder stören geradezu
die intime, geschlossene, gesellige Stimmung des
Raumes, weil sie in ihrer störrischen, eigenwilligen
Individualität sich nicht unterordnen, sondern selber
den Ton angeben wollen. Ob sie ein Gebet oder
Kriegsgeschrei, sie verlangen, dass wir mit ihnen
beten oder schreien. Gerade die tiefsten Bildwerke,
die, die uns am meisten zu sagen haben, die die
stärkste Stimmung atmen, sie taugen garnicht in
Wohnräume. Im eigenen Saale, wo sie mit uns
allein, wo sie als Herr und Wirt unsern Besuch
empfangen, da strömen sie ihre Andachten und
Ergriffenheiten über uns, und sind die visionären
Offenbarungen, als die sie der Künstler gedacht.
Ohne Bilder fehlen die Spiegelungen anderer Welten,
es fehlt ihr anregendes oder zerstreuendes Ge-
plauder, aber — man ist ganz unter sich, und
hört aufmerksamer auf die innere Stimme oder
die des Gastes.

Jedenfalls ist eine solche asketische Enthaltsam-
keit jener Bildersintflut vorzuziehen, die in Form
von Öldrucken, Photographien und Ansichtskarten

die Wände bedeckt, aber auch der würdelosen
Rolle, die die Bilder in den Prunkräumen unserer
Grossindustriellen, Dichter, Diplomaten spielen, er-
drückt und überschrien von Palmen und Fächern,
Nippes, Kissen, Teppichen, Löwenfellen und über-
ladenen Möbeln.

Unsere Innenräume bedürfen des Bilder-
schmuckes nicht unbedingt, eher schon sind die
Werke der Malerei zur vollen Entfaltung auf einen
entsprechenden Raum angewiesen. Daran denken
nun freilich die heutigen Maler nur selten. Kaum
einem schwebt bei der Arbeit ein bestimmter
Raum, eine bestimmte Wand vor Augen, in die
er das Bild hineinkomponiert. So kommt es dann
oft genug, dass ihr Opus überhaupt keinem Raum
sich einfügen lässt. Sie wollen ja absolute, »hohe«,
»freie« Kunst machen, sie schaffen für den Ruhm,
für die Kunstgeschichte! Die Malerei früherer Jahr-
hunderte freilich, die doch auch nicht ganz un-
künstlerisch war und auch in die Kunstgeschichte
einging, sie malte nur für Räume und Wände, es
galt ihr von vornherein als selbstverständlich, dass
die Kunst einen schmückenden Zweck habe, dass
sie dienen müsse. Teils waren ihre Bilder bestellte
Arbeit, teils stimmte man sie doch von Anfang an
auf Kirchen, Säle, Wohnräume; sie besassen einen
warmen, wohnlichen Ton, sie hatten Rhythmus und
Architektur und passten sich dem Stil der Klei-
dung, der Wohnung, des Lebens wundervoll an.
Auf diese Wege zurückzufinden, dürfte heute un-
geheuer schwer sein. Die spezifisch moderne Malerei
ist in ihrer Entwickelung ganz anderen Problemen
nachgegangen als denen des Raumschmucks, sie
hat die Fühlung mit der Wand und dem Zimmer
verloren. Wie soll sich ein krasser Naturalismus
mit der Kultur des modernen Interieurs versöhnen?
Wie vereinigt sich Pleinairprinzip mit der Aufgabe
des Bildes, als Teil der Wand zu erscheinen, als
Dekoration, die auch künstliche Beleuchtung ver-
tragen muss? Im Raum, im Ensemble der Möbel
herrscht Architektur und walten formende, rhyth-
misierende Kräfte. Die l'art pour l'art-Malerei aber
hob gerade alle straffe Form, Linie, Architektur,
die in der früheren Malerei regierte, auf, und ging
oft direkt bis zum Unbildmässigen. Sie brach und
brach und teilte und teilte die Farben, sie haschte
nach dem Licht, sie wollte neue Auffassungen
bieten von Natur und Mensch; man strebte nach
»Persönlichkeit« man produzierte sich vor dem
Publikum mit seiner originellen Pinselführung, mit
seiner Handschrift oder — Manier. Aber dieser
 
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