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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 16.1905

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Vogt, Adolf: Das Treppen-Fieber
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https://doi.org/10.11588/diglit.7502#0285

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274

INNEN - DEKORATION

L. PABKENDORF.

Kronleuchter im Damen-Zimmer.

DAS TREPPEN-FIEBER.

Willst Du erfahren, ob Dein Nebenmensch gesunde
Nerven hat oder ob in seinem Nervensystem irgend
eine schadhafte Stelle ist, so brauchst Du ihn nur
zu beobachten, wenn er über eine Treppe geht. Gerade
wir Großstädter haben täglich in unsern vielstöckigen
Häusern eine grosse Zahl von Stiegen zu steigen, man
sollte meinen, wir müssten allmählich eine hervorragende
Fertigkeit in dieser Beschäftigung gewonnen haben, sie
müsste uns schon so zur Gewohnheit geworden sein,
dass wir sie ganz unbewusst und doch mit tadelloser

Sicherheit ausführen könnten.....wie der Vogel das

Fliegen und der Fisch das Schwimmen.

Dass dem aber nicht so ist, können wir täglich
dutzendmal wahrnehmen. Da ist kaum einer, der nicht
beim Hinabgehen einer Treppe einmal stutzt, zaudert,
mit dem Fusse anstösst, oder die eine oder andere Stufe
zu kurz oder zu lang nimmt. Ein schönes, gleich-
mässiges, elegant-sicheres Nehmen sämtlicher Stufen
gelingt von Tausenden höchstens Einem. Bei recht
vielen aber ist es eine aufregende Seelenqual, ihnen bei
solcher Tätigkeit zusehen zu müssen, denn sie stellen
selbst ein jammerswertes Bild peinigender Hilflosigkeit
dar: Ich kenne Gelehrte, Schriftsteller, geistig hoch-
gebildete Menschen, die benehmen sich, wenn sie eine
Treppe hinabsteigen müssen, wie unmündige Kinder,
die eben die erste Gehversuche machen. Vor der

ersten Stufe bleiben sie eine Weile starr, wie fest-
gewachsen , stehen, und überblicken zitternd das
Gefälle der Stufen. Man sieht es ihnen an, am
liebsten würden sie Kehrt machen wie ein scheues
Pferd .... Mit nervösem Krampf in den Gliedern
nehmen sie die Stufe, rasch den anderen Fuss auf
die gleiche Stufe nachziehend. Wieder Pause, wieder
ängstliches Überlegen. Und so geht es weiter, ein
wahres Fegefeuer für den armen Menschen, pein-
lich auch für die Zuschauer. Ich will nicht sagen,
dass wir alle uns so ungeschickt anstellen. Aber
ein mehr oder minder peinliches Gefühl überkommt
fast jeden. Nur die Kinder scheinen davon noch
frei zu sein. Sie wählen mit Vorliebe gerade Treppen
zu ihren Tummelplätzen ; es scheint ihnen Vergnügen
zu machen, auf ihr auf und nieder zu laufen. Aller-
dings, die Kinder sind ja auch von der allgemeinen
Nervosität der Stadtmenschen meist noch frei.

Wenn man nun aber diesem bedauerlichen
Zustand abhelfen will, — und er macht sich so
schmerzlich fühlbar, dass eine Abhilfe dringend not
tut — so genügt die allgemeine Konstatierung des
Übels nicht. Wir müssen ihm auf den Grund gehen;

L. PAFFENDORF.
KÖLN A. RH.

Palmen ■ Ständer und gestickter
Leinenvorhang im Speisezimmer.
 
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