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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 16.1905

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Michel, Wilhelm: Neuere Villen-Bauten von Beutinger und Steiner, Architekten, Darmstadt und Heilbronn
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https://doi.org/10.11588/diglit.7502#0153

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INNENDEKORATION

ttEIN-STOLZ

XVI. MHRGflnS.

Dcirmffcidf 1905.

SUM-HeFT.

Neuere Villen-Bauten von Beutinger und Steiner, Architekten,

Darmstadt und Heilbronn.

■ n der Peripherie unserer Städte beginnt sich
/ \ seit einigen Jahren da, wo die schnurgeraden
■* V Spaliere der endlosen Architektur-Uniformen
aufhören, eine Schar von eigenwilligen, kapriziösen
Häuschen anzusiedeln, die von einem gänzlich neu-
gearteten Wohngeiste Zeugnis geben. Tiefe Vor-
gärten weiten den Aspekt, und über die Dächer
schauen hochwipflige Gartenbäume nach der Strasse,
die sich darüber zu wundern scheint, dass sich diese
launenhaften Einsiedler dem Zwange der Strassen-
ftuchtlinie so erfolgreich entzogen haben. Zwar
fragen die vorderen Einfassungen der Vorgärten
dieser Fluchtlinie auf das höflichste Rechnung. In
gerader Linie, dem Entzücken der Bauordnung und
des modernen Verkehrs, fügen sie sich aneinander.
Aber dahinter profilieren sich die Grundrisse mit
Malerischer Freiheit und beleben das Strassenbild
Mit abwechslungsreichen Gebilden, an deren vielfach
gebrochenen Flächen und schattentiefen Winkeln
sich das Auge des Spaziergängers gerne erlabt.

Freilich, der Begriff »Strassenwand« ist hier
geschwunden. Den perspektivischen Verjüngungen
der Fensterreihen, der Balkone und Kranzgesimse,
die zur Not noch einen Reiz der Mietkasernen-Strasse
ausmachen, begegnet man hier nicht. An der

Erzeugung eines einheitlichen, eines streng ge-
schlossenen Strassenbildes liegt diesen steinernen
Individualisten nicht viel. Die Strasse als ästhetische
Grundeinheit existiert hier nicht mehr, das einzelne
Haus tritt in den Vordergrund und beansprucht,
als Einzelwesen betrachtet und gewürdigt zu werden.
Dass dieser Individualismus nicht in bare Anarchie
ausartet, dafür sorgt ja schon die Weisheit der Bau-
ordnung, die auch hier in bescheideneren Grenzen
dem Interesse der Gesamterscheinung Rechnung
trägt. Dass aber dieser Gesamteindruck immer
noch seine hohen ästhetischen Qualitäten besitzt,
beweist der auf Seite 144 und 145 abgebildete
Bebauungsplan der Architekten Beutinger und
Steiner in Heilbronn. Im Einzelnen herrscht die
grösste Freiheit. Risaliten und Türme springen
vor, freundliche Giebel durchbrechen die Dächer,
Terrassen und vorgebaute Fenster (ein reizvolles
Motiv, welches die genannten Architekten mit be-
sonderem Geschick verwenden!), Erker und Balkone
laden aus. In jedem Hause regelt sich der innere
Tanz und Wandel der Räume nach anderem Rhyth-
mus und offenbart eine Fülle architektonischer Ge-
staltungskraft, deren Solidität überall gleich ist,
deren Formen sich jedoch nie wiederholen.

1»06. vi. 1.
 
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