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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 30.1914-1915

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Grimm, Richard: Die erste internationale graphische Kunstausstellung in Leipzig 1914
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https://doi.org/10.11588/diglit.13093#0079

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verflossenen 30 Jahren eine arge Umwälzung
erlebt, hervorgerufen durch die allgemeinen
revolutionären Zeitströmungen auf allen gei-
stigen Gebieten, auf denen der bildenden
Künste im besonderen. Die Strömungen und
Umwälzungen in der Malerei sind von außer-
ordentlichem Einfluß auf die Graphik gewe-
sen. In der Zeit um 1860 lastete, ich möchte
sagen: ein Dogma auf der Kupfer-, Holz- und
Steinplatte, bis die großen französischen Im-
pressionisten wie Manet, Delacroix, Renoir,
Toulouse-Lautrec u. a. — anknüpfend an Goya,
Corot, Millet neben der Leinwand auch die
graphische Platte wieder befreiten. Dieses Erbe
hat Deutschland übernommen und Menzel,
Leibi, Stauffer-Bern, Klinger, Ernst Moritz
Geyger, Köpping, Halm, Liebermann und nun
die junge Generation haben die Emanzipation
der Platte mächtig fortgeführt. Nirgends ist
heute — und das zeigt die Ausstellung unbe-
dingt— soviel weiterströmende Kraft zu finden
als in der gegenwärtigen deutschen Graphik.
Alle Pionierarbeit in der Entwicklung der Ma-
lerei findet in der Graphik ihren Widerhall.
Denn die fruchtbarsten Einwirkungen empfängt
sie entschieden von der modernen Malerei und
diese Wechselwirkungen — technische wie in-
tellektuelle — sind ungeheuer interessant und
lehrreich. Wir haben heute nur noch wenige
Graphiker, die beispielsweise nur Radierer
sind. Unsere Graphiker sind Maler, und das
in erster Linie, dann sind sie Radierer, Holz-
schneider und Lithographen. Das ist ein ge-
sundes Verhältnis und verbürgt eine gesunde
Weiterentwicklung. Beweis der Geschichte:
Dürer, Rembrandt, Goya, Millet, Menzel, Zorn,
Slevogt usw. — Das bestimmte zeichnerische
und malerische Können gewährleistet auch ein
persönliches graphisches Schaffen und schützt
vor Spielerei und einem stumpfsinnigen Ver-
sinken in Technik. Hier ist dann Technik
nichts Feststehendes, sondern bei jeder neuen
Aufgabe etwas Fragliches, nichts Terroristi-
sches, sondern Disponibles, nichts Artistisch-
Autokratisches, sondern Dienendes. Darum
der Reichtum. Ein Max Liebermann nimmt
die Nadel in die Hand und sie muß seiner
künstlerischen Absicht dienen. Und so finden
Slevogt, Klinger, Ernst Moritz Geyger,
Corinth, Orlik, Böhle, Meid, Willi Gei-
ger, Melzer, Wolff, Schiestl, so Zorn,
Münch, Vallet, Steinlen, Brangwyn, Lar-
son, Redon und wie sie alle heißen mögen
den persönlichen Ausdruck ihres Könnens.
Daß aber — nebenbei gesagt — diese Gra-
phiker auch einen alten Meister in seiner be-
sonderen Art vorzüglich reproduzieren können,
beweisen die paar Proben, die wir von Orlik,

Einschlag und Lederer in der Ausstellung
finden.

Das sind die Gedanken, die sich mir als
das Ergebnis beim Gesamtüberblick ergeben.
Aus diesem Standpunkt heraus ergibt sich
auch mein Verhältnis gegenüber den einzelnen
Arbeiten. Und nun will ich den fremdländischen
Abteilungen noch einige Worte im besonde-
ren widmen.

Die Schweiz schließt sich unmittelbar an die
deutschen Säle an und zeigt, wie auch Schwe-
den und Norwegen, in ihren Ausdrucksformen
die gleiche Tendenz: frische Expansionslust
und fröhliches Abenteuern. Eine Reihe von
starken Talenten, wie: Hodler, Amiet, Vallet,
Thomann, Stiefel, Alder usw. geben der
schweizerischen Graphik das Gepräge. Die
schwedische Abteilung erhält ihre Note in der
Hauptsache durch Zorn und Larson. Die
Blätter Zorns offenbaren schon rein technisch,
sagen wir sprachlich, alle Schönheiten und
Reize, die die Kupferplatte und Radiernadel
offenbaren können, und das nun in Verbindung
mit dem, was uns der Künstler Zorn zu sagen
hat, ergibt Kunstwerke reinsten Stils. Larson,
Luck, Schwab, Sparre, Bergström u. a.
reihen sich ihm an. Den Saal der Norweger be-
herrscht Münch mit seinen Monumental-Schöp-
fungen, die sich wie geformte Granitblöcke
quer über den Weg lagern. Daneben stehen
noch E. Werenskiöld, Lund und Kaoli. Bei
den Oesterreichern hilft die geschmackvolle Auf-
machung nicht über einegewisse kühle Leere hin-
weg. Die Porträts von Schmutzer sind zumeist
vortreffliche Leistungen. Mit den Holzschnitten
von Stoitzner, den subtilen Exlibris-Radie-
rungen von Cossmann und einigen Blättern
von Svabinsky ist das Beste erschöpft. Ungarn
hat zwar in seinen Reihen keine so blendende
Persönlichkeit wie Schmutzer, aber das Niveau
ist ein höheres: Rippl-Ronai, Istvan,
Krön, Olgyai und Prihoda seien hier ge-
nannt. Frankreich gibt ein durchaus falsches
Bild vom Stande seiner gegenwärtigen Gra-
phik. Viele der markantesten Erscheinungen
(Forain, Besnard, Renoir, Jeanniot, Bejot, Hu-
ard, Leandre, Vuillard u. v. a.), die diesen
Sälen das Gesicht geben würden, sind nicht
anzutreffen, und der Gesamteindruck läßt ver-
muten, daß hier ein Pariser Kunsthändler sein
zufälliges, reichversehenes Lager ausbietet.
Mit einigen vorzüglichen Arbeiten ist Le-
grand, Lepere, Gobo, Leheutre, Latenay,
Chahine und Achener da. Als moderne
Künstler ragen einzig Steinlen und Redon
heraus. Die englischen Säle, die — was Qua-
lität an sich betrifft — jeder Konkurrenz stand-
halten, tragen den Stempel ruhiger Abge-

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