Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 30.1914-1915

DOI Artikel:
Voll, Karl: Sollen wir Bilder aus Belgien für die deutschen Sammlungen nehmen?
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.13093#0085

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
nur die Reste von zerstreuten Altarwerken
oder sie sind schwer beschädigt und haben
viel von ihrer ursprünglichen Schönheit ein-
gebüßt. Von dem Hauptmeister, von Jan Eyck,
sind nur noch in Gent und in Brüssel Reste
des berühmten Genter Altares und außerdem
in Brügge und Antwerpen je zwei Bilder seiner
Hand. Von Rogier van der Weyden besitzt Bel-
gien kein einziges sicheres Stück mehr; die
wenigen, die ihm in Brüssel, Löwen und Ant-
werpen zugeschrieben werden, können sich an-
gesichts der gesicherten Hauptwerke des Mei-
sters nicht aufrecht erhalten. Von dem so viel
umstrittenen Meister von Flemalle gibt es nur
ein, allerdings bedeutendes Werk in sehr schwer
zugänglichem Privatbesitz. Dirk Bouts, der in
den letzten Wochen bei Gelegenheit des Bran-
des von Löwen so oft genannte Stadtmaler
von Löwen, ist nur noch mit vier authentischen
Tafeln in Belgien vertreten, und von diesen ist
die eine nicht gut erhalten und eine andere ist der
verhältnismäßig unscheinbare Rest eines statt-
lichen Altarwerkes, dessen Flügel nach Berlin
und München versprengt worden sind. Von
Hugo van der Goes, dem jetzt ebenfalls so
viel erwähnten Hauptmeister aus der Nach-
folgerschaft des Jan van Eyck, ist nur noch
ein Bild in Brügge nachweisbar. Die mei-
sten sicheren Werke haben wir von Mem-
ling, dem letzten der großen niederländi-
schen Quattrocento - Maler; es mögen ihrer
ein rundes Dutzend sein. Wenn wir also
diese Ziffern zusammenrechnen, kommt eine
so kleine Summe heraus, daß sie keine
Schwächung verträgt. Man muß nur in dem
großen altniederländischen Saal des Brüsseler
Museums gewesen sein, um zu wissen, welch
eine Trostlosigkeit entstehen würde, wenn
man aus ihm die Bilder von Eyck, Bouts,
Memling, Quinten Massys, Mostart und Orley
entfernen wollte. Es bliebe dann ja wohl noch
manches kunstgeschichtlich interessante Stück
übrig, wie die vielumstrittene Grablegung, die
dem Petrus Christus zugeschrieben wird; aber
ein künstlerisches Interesse würde der Saal
nicht mehr bieten, und gerade weil er nach
Entfernung der erwähnten Tafeln an seinen
hohen Wänden noch immer eine übergroße
Anzahl von meistens sehr trockenen Bildern
der niederländischen Gotik zu zeigen hat, so
würde er dem Publikum keinen Genuß ge-
währen können und würde ihm auch einen sehr
falschen Begriff von einer Malerschule geben,
die bis auf den heutigen Tag auf dem von ihr
gepflegten Gebiete niemals wieder erreicht wor-
den ist. Man sieht daraus, daß eine solche
Beraubung der belgischen Museen, wie sie noch
kürzlich Dr. Emil Schäffer in einem von „Kunst

und Künstler" veröffentlichten Aufsatz emp-
fohlen hat, nicht nur dem Lande einige Dutzend
Bilder entführen, sondern der ganzen Kultur-
welt die Möglichkeit nehmen würde, sich an
der von Natur und Geschichte dazu bestimm-
ten Stelle ein zuverlässiges Urteil über eine
der merkwürdigsten und leistungsfähigsten
Malerschulen der Welt zu verschaffen.

Es wird aber gut sein, wenn wir den Fall
auch noch von der andern Seite und recht
kühl betrachten. Anatole France sagt in seinem
höchst geistreichen Buch „La Vie de Jeanne
d'Are" mit einer uns heute wieder recht sehr in-
teressierenden Gleichmütigkeit: „Enguerre, oü
est le profit, n'est point la honte." So wenig
schlechten Geruch das aus dem Schmutz ge-
holte Gold für Kaiser Vespasian hatte, so wenig
würde es manchen verdrießen, wenn wir unsere
Museen mit Bildern bereichern würden, an
denen das Odium des Raubes klebt. Aber
wenn wir von dieser doch wohl etwas frivolen
Auffassung abgehen und sachlich prüfen, was
für die deutschen Sammlungen in bezug auf
altniederländische Kunst dabei herauskommt,
so ist ein besonders starkes Resultat kaum zu
erwarten; denn die Bilder kämen ja doch nicht
in eine einzige Sammlung, sondern würden
an mehrere verteilt werden. Da es sich aber
nur um ungefähr zwei Dutzend Bilder handelt,
die auf beiläufig sechs Museen verteilt würden,
so wären zwar bei der großen Qualität dieser
Werke die einzelnen Sammlungen sehr gestärkt,
aber es würde trotzdem selbst in der Berliner
Galerie, die die weitaus reichste an bedeu-
tenden altniederländischen Bildern ist, kein
solches Ensemble entstehen, das dem erfreuen-
den und lehrreichen Gesamteindruck gleich-
kommt, den wir in den belgischen Städten be-
kommen. Wir hätten einige, allerdings aus-
gezeichnete Bilder mehr in Deutschland, könn-
ten aber keinen Ersatz schaffen für die Ver-
nichtung jenes heute noch so imposanten Total-
eindruckes, den uns eine belgische Reise ge-
währt. Es ist darum nur anzuerkennen, daß
sich auch Wilhelm Bode gegen den oben er-
wähnten Aufsatz von Emil Schäffer ausge-
sprochen hat.

Aber wir könnten aus der Kriegslage viel-
leicht in anderer Hinsicht Nutzen für die
Erkenntnis der altniederländischen Malerei
ziehen. Ihr Hauptwerk ist der berühmte Gen-
ter Altar, der leider im Anfang des 19. Jahr-
hunderts zerrissen worden ist. In der Bavo-
kirche von Gent befinden sich nur noch die
vier Mitteltafeln dieses riesigen, im Jahre 1432
enthüllten Werkes der Brüder van Eyck, zu
dem in dem Brüsseler Museum die Tafeln
von Adam und Eva gehören. Die Flügel sind im

72
 
Annotationen