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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 45.1929-1930

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Uhde-Bernays, Hermann: Zu Feuerbachs 100. Geburtstage: 12. September 1929
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wesentlichen organischen Bestandteile richtig
einzuschätzen, für eine Zeitperiode von der
Stärke des Verhältnisses ab. in dem sie zu der
Bedeutung der humanistischen Erziehung steht.
Niemals hat aber in Deutschland die Anerken-
nung der letzteren so verzweifelt um ihre alten
Bechte zu kämpfen gehabt wie in der Gegenwart.
Als einstens der erste Sturm sich erhob gegen
den L nterricht im Griechischen, hatte Feuerbach
eben sein Platogastmahl vollendet. Schon da-
mals hallten ihm die Rufe, ..Zweck. Wirtschaft,
Sachlichkeit" entgegen, und die Tragik seines
Lebens ist allein verursacht durch den scharfen
\\ iderspruch zwischen seiner sehnsüchtigen
Schwärmerei und den programmatischen For-
derungen der Gründerzeit. Das Publikum, das
damals Anton von W erners Ernennung zum
Akademiedirektor in Berlin begeistert begrüßte,
in W ien vor Makarts lüsternen Prunkdekoratio-
nen in Jubel ausbrach, konnte sich gewiß nicht
auf die Berechtigung seines Lrteils in künstle-
rischen Dingen berufen. Wenn dagegen heute
eine fanatische Teilnahme nach Vorschrift der
Mode zu Münch, van Gogh oder Benoir sich
wendet, aus Snobismus oder Bildungsheuchelei
verzückt zusammenbricht, ist damit nichts ge-
wonnen. Denn große Kunst will nicht aus gön-
nerhafter Gnade oder aus Sensationsbedürfnis
genossen sein, und es ist nötig, an die halbver-
gessenen Worte Schillers zu mahnen, daß der
Menschheit \\ ürde in die Hand des Künstlers
gegeben sei. Die gewaltigen Leistungen der
impressionistischen Malerei mit unbedingter
Zustimmung bewundern heißt nicht, aus Prinzip
ein ganz anders veranlagtes künstlerisches Be-
mühen ablehnen wollen, das dem Schillerschen
Gedichte folgend hohe sittliche Probleme auf-
gestellt hat. Im Gegenteil: Feuerbachs Beispiel
könnte das wankende V erantwortungsgefühl der
Künstlerschaft in vorzüglicherW eise stützen, weil
sein Leben und Schaffen trotz einer unverkenn-
baren Unsicherheit über die letzten Grenzen
seiner künstlerischen Begabung niemals, nicht
einmal sich selbst gegenüber den inneren Halt
verlor, der dem stolzen Charakter des Meisters
der Iphigenien und Medien geziemte. Nicht mit
dem Anruf „Deutschrömer" wollen wir ihm und
seinem W erke gegenübertreten, wollen ihn nicht
mit Marees, um dessen Ruhm es recht still, nicht
mit Böcklin vergleichen, um dessen Ruhm es
allzulaut geworden ist. Wird es einmal dahin
kommen, ihn als den siegreichen Überwinder
des Klassizismus zu preisen, dem er entwuchs.

in ihm die (vielleicht unzulängliche) Kraft des
großen Mittlers zu verspüren, der, Schöpfer zu-
gleich strenger historischer Kompositionen,
malerisch lebendiger Figurenbilder und stim-
mungsvoll wahrer Landschaften aus Italien,
von den erstarrten Kartons des Cornelius in
selbständiger Eigenart hinüberweist zu einer aus
der farbigen Materie gebildeten Erneuerung der
festlich schmückenden deutschen monumentalen
Wandmalerei, deren künstlerischer Heros uns
fehlt, den wir schon lange erwarten?
Ein ^ ierteljahrhundert nach seinem Tode, ein
V ierteljahrhundert vor seinem 100. Geburtstage,
bei der Berliner Jahrhundertausstellung von
1906, schien es, als werde Feuerbachs Ruhm in
Deutschland sich für alle Zeiten festigen. Mit
den letzten Worten des Kataloges der denk-
würdigen Veranstaltung, die mit etwa 80 Ge-
mälden Feuerbachs doch nur eine unzulängliche
Auswahl gab. wies Hugo von Tschudi auf die
..schöne Pflicht, von der Größe dieses Schaffens,
das in dem Jahrhundert einzig dasteht, der
Gegenwart eine Vorstellung zu ermöglichen".
In dieser köstlichen Zeit, die keineswegs, wie
beschränkter Hochmut zu verbreiten gewagt hat.
in Dumpfheit und Stumpfheit geistig verkam,
in der vielmehr gerade der nach geistigen
Interessen sein eigenes Dasein aufbauende Indi-
vidualist in Deutschland eine Freiheit. Selb-
ständigkeit und W irkungsmöglichkeit genoß,
deren Gedächtnis heute wie ein ferner Traum
anmutet, damals erreichte Feuerbachs Persön-
lichkeit für die Nation eine Bedeutung, die sie
heute nicht mehr besitzt.

Die wehmütige Stimmung der kleinen Gemeinde
Feuerbachs wird froh bewegt allein durch die
Zurufe der heranwachsenden Jugend und ihrer
Führer, die des W ertes der humanistischen
Bildung sich bewußt sind. Leitende Männer der
deutschen Technik und der Großindustrie haben
kürzlich einen Aufruf erlassen für die Erhaltung
des humanistischen Gymnasiums. So muß in
Deutschland die Anregung von außen kommen,
die in Frankreich und England von selbst als
eine gesunde Beaktion gegen allzu starke Aus-
schreitungen ungeistiger Betriebsamkeit sich
zeigt. Diese Bewegung wird sich, so wollen wir
hoffen, gewiß auch auf Deutschland, das Vater-
land von Winckelmann. Hölderlin, Marees, von
Schiller. Humboldt und Feuerbach übertragen.
Dann wird ein freieres Geschlecht den 150. und
200. Geburtstag Anselm Feuerbachs feiern.

Ucrmann VJhde-Bcrnays

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