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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 45.1929-1930

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Ehl, Heinrich: Der Volkspark als sozial-ästhetisches Problem
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https://doi.org/10.11588/diglit.14160#0178

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DER VOLKSPARK
ALS SOZIAL = ÄSTHETISCHES PROBLEM

Der Hamburger Stadtpark birgt in seiner Anlage
und Durchführung ein bedeutsames Stück mo-
derner Sozialarchitektur, um dessen willen er
als Idee und Beispiel verdient, schulbildend zu
wirken. Dem Plan gab Alfred Lichtwark Ge-
danke und Inhalt. In den 1909 geschriebenen
..Park-und Gartenstudien" hat er ..Das Problem
des Hamburger Stadtparks"' aus einer klaren
architektonischen Vorstellung der Aufgabe heraus
bis in alle Einzelheiten der Forderungen und
Wünsche künstlerisch und sachlich durchdacht
und richtunggebend entwickelt. „Der Mann, der
den Hamburger Park schafft" — so schrieb er
damals — „muß ein praktisch und künstlerisch
mit schöpferischen Gaben ausgerüsteter Mensch
sein." Der Mann fand sich in Fritz Schumacher,
der nunmehr sich zur Rechenschaft und uns
allen zur Freude und verpflichtenden Dankbar-
keit sein Buch „Ein Volkspark, dargestellt am
Hamburger Stadtpark' im Verlage Georg D. VV.
Callwey, München, vorlegt.

Wenn alle Baukunst soziologisch durch die je-
weils entscheidende Gesellschaft bestimmt ist, so
im hervorragenden Sinne der „Volkspark", der
schon im Begriff, seinen sozialen Bestandteil mit
dem architektonischen und gärtnerischen ver-
bindend, das Problem andeutet. Der Hamburger
Stadtpark ist über alle bisherigen mehr aus der
Gelegenheit als dem durchdachten Bedürfnis
und dem bewußten Formwillen entstandenen
Anlagen hinaus ein die Zeit und ihre sozialen,
gesellschaftlichen Zustände versinnbildendes
Raumgebilde geworden. Damit knüpft er an die
Uberlieferung des Renaissance- und Barockgar-
tens, der letzten baukünstlerischen Verwirkli-
chungen der Idee „Parküber ein völlig er-
schöpftes Jahrhundert hinweg wieder an. Frei-
lich nur in der Theorie des Parks schlechthin
als einer räumlich organisierten Vorstellung von
Flächen, nicht in der besonderen Gegenständ-
lichkeit des Falles, der eine gänzlich neue und
gegenwärtige Lösung forderte und fand.
Sie ist gegründet auf das heutige Massenbedürf-
nis des ganzen Volkes in all seinen Schichten.
Nicht wie der fürstliche Barockpark kann daher
der heutige Volkspark in seiner baukünstlerisch-
räumlichen Struktur von der Absolutheit eines
einzigen Willens ausgehen, sondern wird bezogen
sein müssen auf die Vielheit unterschiedlicher
Bedürfnisse. Das Gebilde wird also nicht mehr
eindeutig und repräsentativ sein können, muß
vielmehr aus dem Prinzip verteilender Nutzord-
nung seinen künstlerischen Plan zur Einheit ge-

stalten. Es muß auf einem voll klingenden archi-
tektonischen Grundakkord — in Hamburg die
Achse Wasserturm-Stadthalle — eine Polyphonie
organisch einbezogener, in sich aber selbständig
durchgebildeter Raumteile entwickeln (Stadion,
Sprunggarten, Heckengarten, Rosenbeete, Spiel-
und Sportplätze, Restaurants). Es muß lebendig
wechselndem Leben — wie in der Volkswiese —
Rahmen geben und zugleich bildhaften Ausdruck
für das Leben dieser und der kommenden Zeit sein.
Der Zeitgeist, der den Entwurf des Hamburger
Stadtparks im letzten Grunde werden ließ, fühlte
sich ebensoweit entfernt von der romantischen
Laune etwa des Münchner Hofgartens wie von
der gewaltsamen Geometrie Versailles' oder des
„Großen Gartens" in Dresden. In eurhythmischer
Bezogenheit stimmte Schumacher Elemente des
architektonischen und englischen Gartens auf-
einander ab, wobei die zuchtvolle Phantasie
dieses Baukünstlers nicht etwa eine beleidi-
gend „goldene" Mitte, sondern eine eigenstim-
mige Modernität von Symmetrie und Variation
erfand.

Nur die Grundtendenzen der großen Aufgabe,
die im Hamburger Stadtpark durch Schumacher
praktisch und formal verwirklicht wurden, kön-
nen hier angedeutet werden. Die kritische Wür-
digung muß sich an das Ganze, die Planung,
Aufteilung des Geländes, die Bei- und Unter-
ordnung unter die klärende Rhythmik des Or-
ganismus halten. Sie täte unrecht, eine Einzel-
heit, etwa einen Innenraum, eine Fassade, einen
Gebäudekubus, einen Flächendekor herauszu-
greifen, ohne den Zusammenhang mit dem ge-
samten Grund-undAufriß und seinem überlegten
Gleichgewicht zu berücksichtigen. Der allzufort-
schrittliche Architekturbetrachter muß erst be-
greifen lernen, daß in der einheitlichen und or-
ganischen Raumkonzeption stärkere Qualitäten
liegen können als in noch so kühnen formalisti-
schen, technischen Experimenten, die hier schon
durch den Charakter und die Bestimmung des
..Volksparks" zu Mißgriffen verdammt sein wür-
den. Ein Gesichtspunkt nebenbei, der ebensosehr
für die Bauwerke in der Anlage des Ganzen wie
für die Plastik gilt, die aus dem Stadtpark mit
der Zeit eine Art Freiluftmuseum wie den Stock-
holmer Skansen machen wird.
Wie im einzelnen die schwierige Grundrißlösung
bezwungen, wie die Form des Ganzen und seiner
baulichen wie gärtnerischen Teile gefunden und
gestaltet, wie räumliche und plastische Vorstel-
lung in Formerscheinung umgesetzt wurde, legt

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