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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 45.1929-1930

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Eckstein, Hans: Zur Malerei des heutigen Italien und zu Felice Casorati
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Werner, Bruno E.: Herbstschau Akademie und Sezession in Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.14160#0217

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nicht nach Vorbild oder perspektivischer Technik
fragt. Man weiß etwa angesichts der „Mittags-
ruhe" sofort: da ist die \ erkürzung, wie sie
Mantegna verwandt hat, aber dies W issen stört
nicht : in Form, Farbe, konstruktiver Spannung
wird die Stille unmittelbar, die Intimität bleibt
gewahrt, trotz tektonischer Straffheit. Ähnlich
in dem in seiner Architektonik vollendeten Bilde
..Atelier", das Anklänge an Nazareniscb.es auf-
weist. Casorati bringt gerne den Dualismus
zwischen Ding und Spiegelung, VS irklichkeit
und Reflektion zum Ausdruck, das Zweimai-
Dasein der Dinge („Atelier-, Bildnis Daphne
Maugham).

Die Wirkung der Bilder Casoratis beruht auf

der reinen, durchgeklärten Malerei und Tektonik,
ihr Zauber in der magischen V erknüpfung der
Dinge. Die Phantasie verströmt nicht in flutenden
Lyrismen, der Traum verflüchtigt sich nicht in
Stimmung, er gerinnt zu Form, zu Tektonik.
Y\ esentlich dies ist es, was Casorati und seine
Genossen mit dem Streben der Gegenwart ver-
bindet. Aber hat man den vom modernen Italien
ersehnten Mythus, der unsere Zeit im ewig Ge-
setzmäßigen bindet, wirklich in diesen Archais-
men, in diesem Spiel perspektivischer Streckung
und Schichtung? L nd droht nicht vielmehr das
Gegenwärtige im Traditionellen zu versanden?
Die Antwort wird nicht anders lauten, wenn man
an Carrä oder Chirico denkt, statt an Casorati.

Hans Eckstein

HERBSTSCHAU
AKADEMIE UND SEZESSION IN BERLIN

Die alljährlichen Herbstausstellungen der Preußi-
schen Akademie der Künste und der Berliner
Sezession stimmen in diesem Jahr ein wenig
nachdenklich. In den Räumen am Pariser Platz
trifft man auf 500 Aquarelle, Pastelle und
Schwarzweißblätter. In dem neuen Haus der
Sezession in der Tiergartenstraße findet man
über 160 Gemälde. In beiden Ausstellungen sind
repräsentative Namen und einzelne gute Bilder
vertreten. Beide Ausstellungen stimmen an sich
durchaus nicht pessimistisch im Hinblick auf
die weitere Entwicklung der Kunst. Aber es ist
der Vorzug Berlins, neben —• gerade in künstle-
rischen Dingen — manchen Nachteilen, daß es
bei seinen Darbietungen Anspruch auf ein Urteil
erheben muß, das von keinerlei Lokalpatriotismus
getrübt ist. In diesem ewig bewegten, kochenden
Kessel Berlin, wo die Talente aus dem ganzen Reich
zusammenströmen, und nicht nur die Talente,
wo ein jeder um Anerkennung kämpft und leider
nicht nur um die Gestaltung seines Werkes,
wird es erforderlich, mit um so schärferer Kritik,
mit um so aufmerksamerer Wachheit die Phäno-
mene zu betrachten, und sich um die Ahnung zu
bemühen, wohin das gegenwärtige Ausstellungs-
wesen steuert und wie es über den Tageslärm
hinaus seine tiefere Daseinsberechtigung erweist.
Von solch einer Warte betrachtend, können wir

uns nicht damit begnügen, zu konstatieren, daß
wieder manche Begabungen unter der Fülle der
Aussteller zu finden sind, diederKunstinteressierte
sich heraussuchen kann. Man muß vielmehr der
Befürchtung Ausdruck geben, daß die Gesichts-
losigkeit dieser Veranstaltungen eine Ermüdung
jenes Publikums, auf das es eigentlich ankommt,
mit sich bringen wird, und daß auf die Dauer
gerade die junge Generation zu einer Indolenz
erzogen wird, zu der sie heute Kunstfragen gegen-
über schon ohnehin neigt.

Denn, kaum noch unterscheidet sich heute eine
Ausstellung der Akademie von der Sezession oder
der Novembergruppe oder der Juryfreien. Man
könnte sie beliebig untereinander austauschen,
so physiognomielos sind sie im Grunde. Der ur-
sprüngliche Gedanke, dem diese Künstlervereini-
gungen Existenz und Namen verdanken, ist im
Laufe der Zeit verblaßt. Die Akademie ist nicht
mehr die strenge akademische Auswahl der
offiziellen Kunst, eine Tatsache, die man heute
schon beinahebedauern muß, obwohl dieoffizielle
Kunst in den seltensten Fällen die beste war.
Aber es interessiert heute mehr, die Auswahl
einer Jury von Charakter zu sehen, die mit einem,
wenn auch einseitigen Willen ein ausgesproche-
nes Bild zu bieten sich bemüht, als eine An-
sammlung, die im Grunde alle umfaßt und deren

Kunst für Alle. Jahrg. 45, Heft 0, Marz 1930

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