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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 45.1929-1930

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Delius, Rudolf von: Die ewige Wiederkehr der Stile: zum nebenstehenden Bild
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https://doi.org/10.11588/diglit.14160#0253

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DIE EWIGE WIEDERKEHR DER STILE

ZUM NEBENSTEHENDEN BILD

Die Bewegungen der Seele in der Geschichte
der Menschheit sind wie das Meer. Ebbe und
Flut, Hochtrieb eines Stiles, Zerfall und Suchen
seltsam gefügter Geister nach etwas Neuem.
Wirkt dies Bild mit dem hl. Antonius nicht
ganz modern, wenn man nur den Heiligen
selbst sich verdeckt? Da ist eine Landschaft
in primitiver Kargheit, dynamisch kühn be-
wegt: große Bogenlinien über dem Sonnen-
untergang, sausende \ögel, schwarze Burg
und hellrosa Kapelle; der Schwung setzt sich
fort in der Straße, wie angeweht stemmt sich
ein Reh: nur Steine, als Kettenglieder verstreut,
geben den Rhythmus. Es ist auch hier schon,
wie in unseren Modernsten, ein Geistwille, der
die Dinge biegt und zwingt zum Tanz nach
seiner eigentümlich herben, wesentlichen, sach-
lichen Melodie.

Und wer malte dies? Um das Jahr i444 n- Chr.
ein Sienese namens Stefano di Giovanni, meist
Sassetta genannt (1392 —1^50). Das pikante
kleine Bild befindet sich in der Sammlung
Philip Lehman zu Neuyork.
Derartige Bilder sind so interessant und für uns
so fesselnd, weil sie den Aberglauben zerstören,
als gäbe es je eine Kunst, die etwas Unerhörtes,
nie Dagewesenes bringen könnte. Die Elemente
der Seele sind gleich durch die Jahrtausende.
Gewiß ändern sich Ausdrucksart und Zeitge-
schmack, aber gerade das Urgestein des künst-
lerischen Wesens bricht immer wieder durch.
So steuert unsere ganze Landschaftsmalerei jetzt
auf ein Ziel los, das — vor über tausend Jahren
in China verwirklicht wurde. Die großen Sung-
meister malten schon die verdichtete Essenz der
Dinge, die realer ist als jeder Realismus, und
zugleich die Seele frei macht zum Spiel mit den
Dingen und daher auch den W eg öffnet zu
Phantasie und Traum. Oder die Plastiker: nach
einer langen W anderung, die das Natürliche
treu zu halten suchte, kehren sie heim nach

Ägypten zu dem Statuarischen, das stolz und
hart wie das Material selbst sich abschließt in
abstrakte Zwingform. Überall sind Kreislinien,
immer wieder ringt der Künstler um das Wesent-
liche, Tiefste seiner Kunst und sucht den Grund
freizulegen, wenn er durch seichten Flugsand
der Mode zugeweht wurde. Jetzt herrscht das
Auge und die Gewissenhaftigkeit der Netzhaut,
jetzt herrscht der Innenanstoß und das Heraus-
brechen des Willens. Da redet man dann von
Impressionismus und Expressionismus, die aber
nicht feindliche Mächte sind, sondern zwei her-
ausgehobene und isoliert betrachtete Momente
des schöpferischen Prozesses selber.
Dieser Sassetta muß ein höchst origineller Kopf
gewesen sein, leise Keime werden hier sichtbar,
die zu Breughel oder Friedrich führen und zu
noch moderneren Malern. Durch die Abendwol-
ken wird eine Kurve gezogen, die den Vögeln
die jähe Bewegung gibt. Linien zerlegen die
Landschaft in Kraftfelder, die Maulbeerbäume
müssen auf ihr Laub verzichten, um mit den
schwarzen greifenden Armen mitzuwirken an
dem skeletthaft Stilisierten des ganz dynamisch
gebauten Bildes. Nur der heilige Antonius sel-
ber ist etwas in Verlegenheit, die Sehnsucht des
Malers nach Landschaft hat ihn ja auch rechts
in die Ecke nach vorn gedrängt, eigentlich hat
er hier überhaupt nichts mehr zu suchen, in
diese aufgeschreckte Welt der nackten Kräfte
gehört kein frommer Heiliger mehr. Er ist nur
ein Überbleibsel des alten goldenen Siena mit
seiner sanften süßen Andacht. Und er ist auch
ein wenig erschrocken, denn hier gärt etwas, es
naht sich ein Neuerleben der Erdstruktur. Hätte
Sassetta seine Nerven streng zu Ende gedacht,
so wäre hier ein ganz anderer Typus Mensch
aufgetaucht: ein Geschöpf, mit der Erde und
ihrer Schwingung ebenso eng verbunden wie der
Hirsch und der Hase und das Reh.

Rudolf von Delius

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