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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 45.1929-1930

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Linfert, Carl: Landschaftszauber mit neuer Sachlichkeit: zu den Bildern von Franz Radziwill
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https://doi.org/10.11588/diglit.14160#0078

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LAND SCHAFTS ZAUBER
MIT NEUER SACHLICHKEIT

ZU DEN BILDERN VON FRANZ RADZIWILL

Landschaften von Franz Radziwill besitzen nichts
von sentimentalem oder sinnlich schneidigem
Gefühlszauber. "\ ielmchr wird in ihnen eine
echte, längst vergessene Art der Zauberei ge-
trieben, die sich nicht wie jede sogenannte
..zauberische" Kunstwirkung auf eine glänzende
dekorative Geste zurückführen läßt. Allerdings
gibt es in den großen Fällen der Malerei auch
einen Zauber, der in wirklicher Farbmagie be-
steht. Aber dieser ist hier nicht gemeint. Es
handelt sich um einen Zauber, der nicht bei der
Farbe bleibt, sondern weiter in die außerkünst-
lerischen Hintergründe der Kunst dringt und
sich fanatisch an die ..Sachen" heftet, die eine
Formung durch „Kunst" herbeirufen und hervor-
rufen. Am besten braucht man dafür das Wort
Alchimie und meint damit wie vor mehreren
Jahrhunderten die Zauberei, die aus wilder
Mischung der trost- und sinnlos vereinzelten
Dinge eine neue W elt, meist unter dem Namen
..Gold", zusammenbrauen will. Die Dinge und
Sachen des Diesseits, denen keine vorausgesetzte
„Weltordnung" zugemutet wird, werden sozu-
sagen „gereizt", weit mehr Kräfte oder W erte
zu besitzen und herzugeben, als ihre Erscheinung
glauben macht. Diesem verzweifelten Bemühen
gelingt es natürlich nicht, die heillos verwirrten
Dinge zu einer neuen, glanzvollen Einheit zu-
sammenzubringen: und das Ausbleiben des Er-
folgs im banalen Sinne des gerundeten, kunst-
gerechten Gesamtbildes hat man stets als,, Betrug"
(rebrandmarkt. Aber dieses Ende lag nicht an

ö

den Zauberern, sondern an dem dinglichen
Zustand der W elt selbst. Daß der besondere
geistige Experimentierwert in der Haltung des
Alchimisten zum Verborgenen bestehen bleibt,
hat man dabei übersehen. Daß diese Zauberei
sogar Formen des Eindringens in das Dunkel des
Faktischen (statt wie die Mystik in das Dunkel
des Gedanklichen) gefunden hat, wurde nicht
einmal als Frage für vernünftig gehalten.
In einem parallelen Sinne also wird vor den
..Bildern- Radziwills von Landschaftsalchimie
gesprochen. Diese „Bilder" arbeiten mit den

Die Wiedergabe der Bilder von F. Radzrwitl erfolgte mit Ge-
nehmigung der Galerie Xcumann und Nierendorf, Berlin.

Bruchstücken der sichtbaren W elt und „reizen"
sie, sich zu einem Zauberbau alles Diesseitigen
wie ein Turm zu Babel zusammenzufügen, dabei
aber keinem ..allgemeingültigen Gesetz" des
einheitlich gelenkten Daseins untergeordnet
und treu zu bleiben. Daß solche „Bilder", her-
vorgegangen aus dem Reiz des Widerspruchs
der Dinge zu dem ihnen angewiesenen Ort, keine
„Landschaft" zusammenhängender Art bieten,
ja überhaupt keine „Bildeinheit" besitzen, ist
selbstverständlich. Fraglich ist nur, ob man sie
aus diesem Grunde ablehnen soll oder ob sie
gerade durch diesen 'S erstoß gegen jahrhunderte-
alte KunstvorsteUungdes,,Bildes" ein ernsthaftes,
erklärendes Nachdenken erfordern. Denn es ist
noch nie, auch im Expressionismus nicht, so
auffällig mitten aus dem W irklichen und Tat-
sächlichen heraus aller Zusammenhalt zerrissen
worden. Und das zugunsten eines Gefüges, das
nicht systematisch vorausgesehen wird und
daher auch keinen Namen wie „Bild" oder der-
gleichen verdient.

Diese landschaftlichen Gefüge sind also nicht
nur reizvoll wegen ihrer fast man iakalisch durch-
geführten rieselnden Kleinmalerei, sondern
besitzen auch eine gewisse Schlüsselbedeutung
für die noch undurchsichtigen ferneren Möglich-
keiten des gemalten Bildes. Das ist besonders
wichtig angesichts eines Zustandes der Malerei,
in dem die Realitätspenelranz sich wieder bis
ins Konstruktive überschlägt. Dieser wirre Zu-
stand brachte nun schon seit mehreren Jahren
auch einige altertümliche Sehgewohnheiten und
Formfloskeln wieder in Gebrauch, die sonder-
barerweise nicht als Kaprice eines Raritäten-
sammlers gelten können, sondern modernen
Bildversuchen dienen und wirklich auf dem
Erlebnisweg selbst liegen. Derartige Wiederkehr
des Altertümlichen ist eben nicht „Kopie", son-
dern eine unterirdische Anziehung von „ge-
schichtlich" gewordenen, bisher meist als neben-
sächlich angesehenen Einzelzügen der Form,
deren Ausprägung nur durch starke und gegen-
wärtige, allerdings zugleich ratlose Lebenskräfte
gelingt. Radziwill malt Berge und Bäume wie
im 16. Jahrhundert und gibt die buntgetupften

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