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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 45.1929-1930

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Heft 12, September 1930
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Heimeran, Ernst: Seltsame Sammler, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14160#0426

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SELTSAME

SAMMLER

Auf dem \\ eg zur Dorfschule begegnete ich als
Knabe allmorgendlich einem Manne von der Hal-
tung und dem Aussehen, als befände er sich auf
der immerwährenden Leichenbitte. Er ging ge-
bückt, den Blick zu Boden gerichtet, ein schwarzer
Gehrock mit traurig hängenden Flügeln streifte
beinahe das Pflaster. Denn die Taschen waren
vollgepfropft und schwer.

Y\ as tat der Mann so frühmorgens auf den noch
einsamen W egen? Er sammelte. Er sammelte
nicht um Erwerb, sondern aus Liebe Nägel, die
aus den Hufen von Pferden, aus Badbeschlägen,
aus Geräten, aus Schuhsohlen gefallen waren,
Nägel aller Sorten sammelte er, aber ausschließ-
lich gebrauchte. Jede neue Art zufälliger Krüm-
mung, jede neue Nuance von Bost schien ihm
begehrenswert; nie aber verleibte er zwei durch-
aus gleiche Stücke seiner Sammlung ein, und es
war wunderbar, wie er alle Varianten im Kopfe
hatte, um seine \\ ahl im Schmutz sogleich sicher
zu treffen. Er liebte in den vielfach verbogenen
Nägeln die Lrformen der Natur und bei seinem
Tode — er hängte sich am schönsten und größ-
ten Stück seiner Sammlung auf, einem vierkan-
tigen Bronzenagel von der alten Kirchentüre —
besaß er so viele Zentner Altmetall, daß sein elen-
des Begräbnis davon bezahlt werden konnte.
Diese Geschichte, so oft ich sie erzählte, wurde
stets mit einem nachsichtigen Lächeln aufge-
nommen. Und doch ist von einem deutschen
Schullehrer. Kaspar Schwenold mit Namen,
ähnliches verbürgt, dies nämlich, daß der arme
Schlucker, alles sammelnd, was er auf der Straße
fand, zu 'Wohlstand gekommen sei. In seinem
Sammeleifer war Schwenold einmal auf einer
Y\ änderung nach Breslau, ohne es zu merken,
durch die ganze Stadt gegangen und mußte sich
nun im nächsten Dorf sagen lassen, daß die Stadt
bereits hinter ihm liege. Er erzählt selbst, daß
er so im Tage oft auf seine zwei Taler „Ver-
dienst" gekommen sei. Ja. derlei glaubt man
nicht gerne, solange man es nicht selbst mit an-
gesehen hat und, ich möchte wohl wissen, wie
viele das Knopfmuseum zu Prag oder die Zahn-
stocherausstellung zu Bosario für ein Märchen
hallen.

Dennoch lasse ich mich nicht abschrecken, hier
einige unbekanntere Beiträge zur menschlichen
Narrheit zu liefern, soweit sie sich auf das Sam-
meln aus künstlerischen Motiven beziehen. Die
Masse des W underbaren und Seltsamen in der
"Welt bleibt ja immer dieselbe, ob sie nun ge-
glaubt oder nicht geglaubt, enträtselt wird oder
nicht. Das sei denen als Trost gesagt, die da mei-
nen, unsre Welt würde durch Aufklärung und
Technik immer wunderloser und langweiliger.

*

So ist es zum Beispiel noch gar nicht lange her,
daß durch russische Kanonen die eigentümliche
Sammlung des ungarischen Grafen K. der Kriegs-
zerstörung anheimfiel. Der Graf hatte die Lei-
denschaft, künstlerisch und handwerklich hervor-
ragende Wetterhähne zu sammeln. Er bereiste
darum jahrelang die ganze dafür zuständige
Welt, immer den Kopf nach oben. Mancher unse-
rer Leser mag ihn noch unter dem Spitznamen
Münchhausen gekannt haben. Seine Erwerbun-
gen siedelte der Graf in seinem Park auf Sockeln
in Form einer Allee an, durch die er bei A\ ind
wie ein Besessener hin- und widerritt. Ein Diener
war ausschließlich damit beschäftigt, die Blech-
fahnen in Ordnung zu halten und vor allem zu
schmieren: denn der Graf soll bei dem geringsten
Kreischen eines Wetterhahns aus tiefstem Schlafe
aufgefahren sein.

Der Doge Alessandro Cossi hatte eine große
Sammlung von Kunstgläsern zusammengebracht,
die die anmutigsten Schöpfungen des durch-
sichtigen Gewerbes enthielt. Merkwürdig war
unter ihnen die Abteilung von nicht weniger als
sechshundert gläsernen Schussern mit bunten
Spiralen darin, Sternen oder österlich silbernen
Schafen, die zum großen Teil dem Besitz eines
Nürnberger Gassenjungen entstammt haben sol-
len. Diese Abteilung allein entging der '\ ernich-
tung. als bei einer Feuersbrunst in der Nachbar-
schaft der irrsinnig gewordene Diener des Do-
gen alle die gläsernen Schätze seines Herrn zum

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