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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 45.1929-1930

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Die Edwin-Scharff-Ausstellung in Berlin
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Scharff, Edwin: Über moderne Plastik
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https://doi.org/10.11588/diglit.14160#0268

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DIE ED WIN = SCHAR FF = AU S STELLUNG

IN BERLIN

Während man in der Akademie die außerordent-
liche Ausstellung des Holzschnitzers Barlach mit
tiefem Respekt sah, konnte man zur selben Zeit
bei Cassirer den Ausschnitt aus dem Schaffen
eines Bildhauers erblicken, der— zwar auf einer
völlig anderen Ebene am Werke — wiederum
die freudige Erkenntnis weckt, in einer Zeit zu
leben, die noch schöpferische Persönlichkeiten
besitzt. Wir sehen 17 Plastiken von Edwin
Scharff vor uns, die fast durchgehend in den
letzten vier Jahren entstanden sind. Man erlebt
hier das auf deutschem Boden ungewöhnliche
Schauspiel eines aus den Stationen des Kubismus
und der Abstraktion hervorgegangenen neuen
klassischen Formwillens. Zugleich jedoch fühlt
man ein mit allen Sinnen ertastetes, mit feiner
\\ itterung eratmetes Leben, das mit Kraftfeldern
und Spannungen geladen ist. Aus alledem strömt
eine natürliche Anmut, eine schöne, nüchterne
Selbstverständlichkeit, die einem seltenen In-
stinkt entspringt: dem dunklen Wissen um
Maß und Grenze.

L m diese W irksamkeit ganz erfassen zu können,
betrachte man beispielsweise die im vorigen

Jahr entstandene Halbplastik „Die Badende".
W ie sich hier die kniende nackte Gestalt des Mäd-
chens aus der W and des Hintergrundes heraus-
hebt, wie in scheinbarer Gelöstheit der weibliche
Körper mit allen Spannungen und Muskeln
sich in wundervoller, schlummernder Elastizität
dem Beschauer entgegenbebt und wie die weichen
Schatten dieses Körpers den Blick einfangen. Eine
stehende Frau auf einem Beliefblock weist über
die stille Intimität solcher Arbeiten hinaus. Auf
dem Block zeichnen sich die zarten Konturen
liegender Frauen ab. Oben aber blickt eine Ge-
stalt nieder mit breiten, fast männlichen Schul-
tern, mit Brüsten, die sich in den Raum recken, in
der Komposition eines umgekehrten Kegels, wo-
durch in derY erkürzung der Blickperspektive eine
ungewöhnliche Monumentalität erreicht wird.
Die Porträtplastik nimmt einen breiten Baum
ein. Da findet man die bekannte Büste Heinrich
W ölfflins, die Bronzebüste von Jessen oder eine
1928 entstandene Frauenmaske in Ton, und den
Bronzekopf von Heinrich Tessenow (1929), der
trotz seiner Schlichtheit ein unheimliches Leben
ausstrahlt. b. e. w.

ÜBER MODERNE PLASTIK, von edwin scharff

Bei der Eröffnung der Plastik-
ausstellung der Berliner Sezes-
sion hielt Edwin Scharff eine
Rede, der wir folgende Aus-
führungen entnehmen.

Mit dem W ort „Bildhauer" verbindet sich die
Vorstellung eines in der Werkstatt handwerklich
Tätigen. Manche Bildhauer bezeichnen sich gern
bescheiden als Handwerker. Wir hören oft: die
Kunst kommt aus dem Handwerk. Das ist un-
genau und deutet nach rückwärts. Die Kunst
kommt aus der Idee, aus der Phantasie. Nur um
das Formerlebnis Gestalt werden zu lassen,
sind uns die Hände Werkzeug. Eben zeigt die
Ausstellung eines ausländischen Bildhauers
(Dossenna) in Berlin, was nur handwerkliches
Können, ohne Erlebnis aus der Natur, hervor-

bringen kann. Diese W erke zeigen vollendetes,
raffiniertestes Handwerk. Um den Kontrast zu
geben, vergegenwärtigen Sie sich eine vorge-
schichtliche Einkratzung oder eine der sogenann-
ten Venus-Torsi dieser Zeit, und es zeigt sich,
daß Ausformung menschlichen Fühlens selbst
bei mangelhaft handwerklichem Können ent-
scheidender ist als leeres, noch so vollendetes
Handwerk. Diese allerersten Bildungen mensch-
licher Phantasie, das erste Erfühlen der Natur,
Formung ihrer Umrisse und Wölbungen, zeigen
auch, daß am Anfang Dinge bilden freies Schaf-
fen war, daß die Kunst erst später dienend wurde,
daß die freie Kunst, nur um ihrer Existenz
willen geschaffen, wenn wir Geistiges anerkennen
wollen, auch berechtigt ist.

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