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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 45.1929-1930

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Aus Vlamincks Memoiren
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https://doi.org/10.11588/diglit.14160#0234

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AUS VLAMINCKS MEMOIREN

Vlaminck plaudert gut, elegant. Mit der Feder
ist er mindestens ebenso hurtig wie mit dem Pin-
sel — und gleicherweise geschickt, nein besser:
impulsiv. Sein bei der Deutschen Yerlagsanstalt
Stuttgart erschienenes Buch „Gefahr voraus!"
sind die Memoiren eines Naturburschen, der in
sein Aaturburschentum etwas verliebt ist. ..Auf-
zeichnungen eines Malers" heißt's im Untertitel.
Aber A laminck schreibt nicht viel über Malerei.
Sein Glaubensbekenntnis heißt: ,.\\ iederMensch,
so seine Malerei" — und dies Buch erbringt auch
für die Umkehrung des Satzes den Beweis. Anek-
doten, Erinnerungen aus der Knabenzeit, an sei-
nen Bennfahrerehrgeiz, Episoden aus dem Kaser-
nenleben, das in Frankreich nicht wesentlich an-
ders ist als in Deutschland, aus dem Pariser Leben
wirbeln durcheinander. Den Hauptteil machen
Kriegserinnerungen aus: auch hier keine langat-
migen Geschichten, Auseinandersetzungen, Mo-
ralpredigten — die tausend Momentaufnahmen
demaskieren wirkungsvoller, erschreckender,
enthüllen schonungsloser Schicksal und \\ ider-
sinn. Im ganzen nicht nur Protest gegen den
Krieg, sondern Auseinandersetzung eines geisti-
gen Menschen mit der modernen Zivilisation. —
W ir wählen aus der Fülle von Anekdoten. Er-
lebnissen, Gedanken des \ laminckschen Buchs
einige wenige aus, die uns teils für den Menschen
Vlaminck und seine Kunst aufschlußreich, teils
zur Charakteristik von Zeitgenossen bedeutsam
erscheinen und vielleicht in manchem auch Lust
zur Lektüre des Ganzen erwecken.

Welt aus Farben

Meine Leidenschaft drängte mich zu allen ge-
wagten Kühnheiten gegen das Herkömmliche in
der Malerei. Ich wollte eine Bevolution in den
Sitten, im täglichen Leben hervorrufen, die un-
gebundene Natur zeigen, sie befreien von den
alten Theorien und dem Klassizismus, deren
Macht ich gleicherweise verabscheute wie jene
von Generalen und Obersten. Ich empfand weder
Mißgunst noch Haß, aber eine Art Baserei be-
herrschte mich, ich wollte eine neue AN elt schaf-
fen, die Welt meiner Augen, eine Y\ eil für mich
allein. Ich war arm. aber ich wußte, daß das

Leben schön ist. Und ich steckte mir nur ein
Ziel: nämlich dies, mit Hilfe neuer Mittel die
tiefen Beziehungen, welche mich mit der alten
Erde verbanden, auszudrücken.
Ich übertrieb alle Töne. Ich verwandelte alle mir
irgend wahrnehmbaren Gefühle in einen Bausch
reiner Farben. Ich war ein verliebter, ungestü-
mer Barbar. Ich komponierte aus dem Instinkt.
Keiner Methode verschrieben, galt mir nicht eine
künstlerische, sondern eine menschliche Wahr-
heit. Ich zerrieb und verschmierte die doch so
teuren Ultramarin- und Zinnoberfarben, welche
mir der Vater Jarry, ein Farbenhändler an derEckc
der Brücke von Chatou, auf Kredit verkaufte.

Alles für die Malerei

Ich habe die Malerei um ihrer selbst willen heiß
geliebt, wie man ein Mädchen ohne Mitgift liebt,
und heute noch, was auch immer geschieht, habe
ich die Genugtuung, daß es keine Lüge war. Ich
bin für sie kilometerweit zu Fuß gelaufen. Ich
bin die Seine entlang gegangen von Chatou bis
Saint-Denis. Ich habe in Saint-Quen, inArgenteuil
gemalt, von Argenteuil bis Pecq, in la Frette-
Montigny. Im Walde und in der weiten Land-
schaft habe ich mit ihr aclebt.

o

Henri Rousseau
Zu Lebzeiten ist ein Heiliger immer Lächerlich.
■>.o Jahre war der kleine Zollbeamte Bousseau ein
armer Kerl. Bei den Juryfreien hatten alle ihren
Spaß an ihm, er war wie der Weihnachtsmann,
der den Kindern Freude macht. Und das war
dort sein ganzer Ruhin.

Wie ein Bäcker sein Brot liefert oder der Ge-
müsehändler seine Kartoffeln, so trug Bousseau
seine Bilder zu\ollard. Er verbarg nichts, weder
in der Kunst noch im Leben. Er vertraute allen
seine Freuden und Leiden, die Briefe seinerBraut
und den Schlüssel seines Schrankes an. Bousseau
war kein Klassiker, er war wunderbar unwissend.
Peinlich ehrenhaft hinterließ er keine einzige
Schuld. Die alten Meister und seine Zeitgenossen
können nichts gegen ihn einwenden. Greco nicht,
noch Poussin, noch Corot. Renoir und Cezanne.
NA enn er jemand etwas schuldet, so dem Blatt

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