Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 45.1929-1930

DOI Artikel:
Lukomskij, Georgij K.: Dimitri Semjonowitsch Stellezkij
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14160#0255

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
DIMITRI SEMJONOWITSCH STELLEZKIJ

Im Westen Rußlands, in einem Grenzgebiet von
historischer Bedeutung, welches den verschie-
densten Einflüssen unterworfen war, ist unser
Künstler geboren als Sohn einer wenig be-
kannten adligen Familie.

Seine Jugend hatte wenig lichte Momente. Später
abersehen wir ihn auf der Akademie der bilden-
den Künste, einer langweiligen „Schule", die
von Professor Saleman und Beklemischeff ge-
leitet wurde. Das war es allerdings nicht, wohin
Stellezkij strebte, seine Bedürfnisse gingen weit
über das hinaus, was ihm in der Akademie ge-
boten wurde. Dort wurde er in der Skulptur
ausgebildet. Schon mit seinen ersten Arbeiten

1908— 10 zeichnet ersieh unter den Mitschülern
aus. Stellezkij ist klein von Wuchs, erinnert
stark an Menzel, trägt eine große Brille und ist
schon ganz kahl. Seine Feinde, die in ihm die
priesterliche, salbungsvolle Ader fühlen, nennen
ihn den „Seminaristen".

Plötzlich setzt Stellezkij auf der Ausstellung
„Salon", die von S. K. Makowskij im Jahre

1909— 10 veranstaltet wurde, alle in Erstaunen,
trotzdem er nur ein einziges Gemälde, eine
farbenprächtige Komposition mit russischem
Sujet, ausstellt. Sie ist stark durchempfunden,
vornehm gezeichnet und erinnert an den Holz-
schnitt des nördlichen Rußland aus dem 16. und
1 7. Jahrhundert.

Ein Schütze, ein Held, eine Jagd nach dem Wild,
etwas Verworrenes ... der „Geist", der aus dem
Ganzen spricht, ist der des alten russischen
„Bylinen"-Epos. Eine Imitation? Nein. Viel
„Eigenes". Aber ein Archaismus, etwas Naives,
ein Original. Auf den ersten Blick sieht man:
der Künstler stürzt sich auf das Altertum. Er
wendet sich vom Klassizismus, vom 19. Jahr-
hundert, auch vom 18. Jahrhundert ab.
Zur gleichen Zeit beginnt Stellezkij auch für
das Theater zu arbeiten. Dort nimmt die Freund-
schaft mit F. J. Golowin, dem Hauptdekorateur
des Marientheaters in Petersburg, und zugleich
mit dessen Feind, mit Benois, ihren Anfang.
Jetzt sollte sich der Erfolg einstellen. Man be-
stellt bei ihm die Dekorationen zur Aufführung
von „Zar Fjodor Joanno witsch" im Petersburger

Alexandrinischen Theater. Der Entwurf ist
fertig, aber die Aufführung kommt nicht zu-
stande. Sein erster Mißerfolg! So wird er noch
verschlossener und zieht sich ganz in sich selbst
zurück. Der Künstler fährt in Rußland herum,
lernt es genau kennen, skizziert und beginnt
mit der Erforschung des alten Rußland.
Eines Tages wird er von der bekannten Kunst-
freundin Fürstin M. K. Tjenischewa zu sich ge-
rufen. Wir sehen ihn im Dorf Talaschkino,
welches später durch die Schule für Kleinkunst-
gewerbe bekannt wurde. Im Museum der Tjeni-
schewa in Smolensk malt er Illustrationen zum
„Igorlied", dem Hauptwerk des Bylinenepos,
der russischen Iliade. Einige 10 Aquarelle geben
eine Mappe, die aber nicht herausgegeben wird,
weil ihn die Fürstin wegen Vermögensverlust
nicht weiter unterstützen konnte.
Danach bereist Stellezkij den Norden Rußlands
und zeichnet, zeichnet und malt: die Wolga,
ihre Ufer, alte Städtchen mit Klöstern, Barken,
Menschentypen. Besonders sorgfältig sammelt
er aber alles, was zum russischen Altertum nur
irgendeine Beziehung hat. Ungeheures Material
häuft sich an. Der Grundstein ist gelegt, der
Boden geschaffen für sein künftiges Werk —
aber nicht im neuen Rußland. Das ganze Mate-
rial wäre eine Quelle für Fresken und große
Bilder — aber sie werden nicht bestellt. Stellezkij
beschränkt sich darauf, für sich selbst Bilder
zu malen, Bilder, welche zuweilen sehr groß
sind und durch das Erlebte und Gesehene an-
geregt wurden. Es zeigt sich das vollständig
ausgeprägte Schöpferantlitz — ein Künstler des
vergangenen Rußland und des Genres der älte-
sten Tage: dekorativ und wahrhaft historisch.
Aber auch sein Stil und seine Art sind echt
russisch.

Während einer Ausstellung fährt Stellezkij (im
Zusammenhang mit dem Ballett von Djagileff)
ins Ausland und von dieser Zeit ab ist es auch
ihm, wie L. Bakst von 1911 ab, wie Gontscha-
rowa und M. Larionoff von igi4 ab, nicht be-
schieden gewesen, in die Heimat, zur Quelle
seiner Inspiration zurückzukehren. In Rußland
endigt die erste Periode seiner Arbeit; es war

228
 
Annotationen