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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 45.1929-1930

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Zoege von Manteuffel, Claus: Ernst Wenck
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https://doi.org/10.11588/diglit.14160#0339

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ERNST WENCK

..Meine Arbeiten sind aus Freude am Gestalten
entstanden. — Ich habe unvoreingenommen
und intensiv die Natur studiert und den Weg
gesucht."

Diese Sätze stellte Ernst Wenck an die Spitze
der Bekenntnisse, die vor einem Jahrzehnt an
dieser Stelle erschienen. In der Mitte der fünf-
ziger Jahre seines Lebens, in der 'S ollkraf t eines
gefestigten Schaffens glaubte er durch sie die
Triebe, die sein künstlerisches Streben bestimm-
ten, aufzudecken. In ihrer Einfachheit sind sie
bezeichnend für seine schlichte Menschlichkeit,
sein ehrliches Künstlertum. Y\ er ihn bei der
Arbeit beobachtet, seine Gedanken verfolgt hat.
weiß, daß diese Y\ orte nicht einem philosophi-
schen System entlehnt,nicht für die Y\ elt zurecht-
gemacht sind, sondern einer Selbstbesinnung
entsprungen sein müssen. So werden sie, ob sie
gleich keine neuen Erkenntnisse vermitteln, wert-
voll als Zeugen der persönlichen Einstellung
des Künstlers zu seinem Gestalten. Zeigen sie
doch die klare Erkenntnis dessen, worauf es bei
jedem künstlerischen Schaffen ankommt. Diese
Erkenntnis hat W enck davor bewahrt, ein Mit-
läufer zu werden, sowohl ein Mitläufer des
Publikums, wie ein Mitläufer künstlerischer
Strömungen seiner Zeit. Sie hat ihn davor be-
wahrt, die Verbindung mit der Natur zu ver-
lieren. Immer wieder ist er zu dieser Quelle
künstlerischen Gestaltens zurückgekehrt, hat er
an ihr Selbständigkeit seines Schaffens sich
errungen.

So stark Wenck das unmittelbare Gestalten
durch Studium der Natur betont hat, so klar
war er sich darüber, was er andern verdankte.
Viel zu ehrlich, um dem Glauben zu leben, es
könne heute irgend jemand aus sich allein An-
schauungskraft und Stilwollen entwickeln, nannte
er selbst seine Lehrmeister. An die Spitze stellte
er Rodin, den großen Bahnbrecher. In Rodins
Schaffen erkannte er mit Recht einen ganz mo-
dernen, aus dem Geist seiner Zeit erwachsenen
Stilwillen. Das mag ihm Refreiung aus der At-
mosphäre, in der er aufgewachsen war, jener
Mischung aus retrospektivem Stilismus und
virtuosem Naturalismus, gebracht haben, der
am Ausgang des vorigen Jahrhunderts die Rer-
liner Bildhauerschule beherrschte. Die Entdek-

kung Rodins hätte aber für \V enck wie für so
viele andere leicht nichts weiter als einen Wech-
sel der Schule bedeuten können. Gewonnen hat
keiner, der aus einem Epigonen Reinhold Regas'
ein Epigone Auguste Rodins geworden ist.
A or dem einen wie vor dem andern bewahrte
W enck seine ernste, bedächtige Art, der es wider-
stand, sich rasch Gelerntes anzueignen. Gewiß
gibt es W erke von ihm, entstanden bald nach
der Jahrhundertwende, die wie Studien nach
Rod in aussehen. Sie bleiben aber, von seinem
Gesamtschaffen aus gesehen, Etappen. W enck
hat die Gefahr gespürt, die in dem persönlichen,
impressionistischen Gestaltungsprinzip Rodins
für jeden lauert, der nicht eben Rodin ist. Ein
neues Streben erfüllt ihn. Es geht um eigentüm-
liche Gesetze der Bildhauerkunst: Figuren in
geschlossenen Formen von ihrem Kern aus zu
entwickeln, das Naturvorbild während des künst-
lerischen Gestaltens seiner Zufälligkeiten zu
entkleiden und mit einer neuen Energie zu er-
füllen. Mit diesem Ideal vor Augen hat Wenck
überliefertes Gut vergangener Zeiten durch-
forscht, wie er selbst angibt: frühägyptisches und
frühgriechisches, ostasiatisches und indisches.
Und jede Entdeckung des von ihm Erstrebten
in alter Kunst gab ihm Mut zu eigenem Schaffen,
bestätigte das Wollen, das ihn erfüllte. Ist er
darum als Eklektiker anzusprechen? Wenn die
Tatsache, daß er Ahnen anerkannte und aus
früheren Lösungen eigenes Schaffen zu bereichern
suchte, zu solcher Einordnung genügte, dann ja.
Dann braucht aber mit dieser Bezeichnung nicht,
wie es gemeinhin geschieht, ein absprechendes
Werturteil verbunden zu sein. VN enn aber die
tiefste, künstlerische Gestaltungskraft, die hinter
der Formgebung steht, entscheidend sein soll,
dann nein. Es kommt in unserer Zeit kein Künst-
ler um das riesige Erbgut unserer Kultur herum:
die Frage ist, ob er sich daran verliert oder das
Erlernte zu beseelen, ein Neues daraus zu ent-
wickeln vermag. Anlehnung an Vorbilder alter
Zeiten braucht durchaus nicht eigenes Stilwollen
zu ersticken. Das lehrt uns die Geschichte der
italienischen Renaissancekunst, die Rlüte des
Klassizismus am Ende des 18. und Anfang des
19. Jahrhunderts. Mir scheint. Wenck habe bei
aller Verehrung für Formenprägungen früherer

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