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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 45.1929-1930

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Antike Künstleranekdoten, [1]
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ANTIKE KUNSTLERANEKDOTEN

Auf der Insel Rhodus befand sich in der grie-
chischen und römischen Zeit eine berühmte
Künstlerschule, aus der große Bildhauer und
Maler hervorgingen. Das bekannteste Bildwerk
war der Koloß in Rhodus, eine 32 m hohe
Statue im Hafen der Hauptstadt, eines der sieben
Wunder der alten Welt.

Der bedeutendste rhodische Maler war Proto-
genes, dessen Bilder noch Jahrhunderte nachher
in Rom bewundert wurden. Plinius erzählt von
ihm mehrere Anekdoten, die bezeichnende Bei-
träge zur antiken Kunstgeschichte bieten.
Nach ihm war Protogenes sehr arm, aber er
wandte auf seine Arbeiten einen außerordentlich
großen Fleiß an. so daß er nicht sehr viel Ge-
mälde schuf. Bis in sein 50. Jahr malte er Schiffe
und brachte an den Propyläen neben seinen
Figuren Schiffe an. um anzudeuten, womit er
angefangen habe.

Als Apelles nach Bhodus kam, suchte er sogleich
die ^ erkstatt des Protogenes auf. fand ihn selbst
aber nicht dort. Da zog er mit dem Pinsel auf
eine zur Arbeit vorbereitete Tafel eine äußerst
feine Linie und entfernte sich. Als Protogenes
zurückkehrte, erklärte er sogleich, niemand als
Apelles könne die Linie gezogen haben, und
teilte sie durch eine noch feinere, die er mit
anderer Farbe hineinzog. Als Apelles wieder-
kam und seinen Kollegen abermals nicht antraf,
teilte er die zweite Linie durch eine dritte. Nun
gab Protogenes sich für besiegt. Plinius be-
hauptet, die Tafel mit der dreifach geteilten
Linie noch in Born gesehen zu haben. Albert
Berg, dem wir feine Radierungen von Rhodus
verdanken, bemerkte 1862 zu der vorstehenden
Anekdote: „Die Erzählung läßt auf ein Bestreben
nach der äußersten Leichtigkeit und Sicherheit
der Hand schließen, eine Eigenschaft, die un-
seren höchst transzendenten Zeitgenossen sehr
serinrfüfriof erscheinen wird: aber .ohne Hände
kein Malei" hat uns der geistreiche Ruinohr
schon zugerufen, nur der Genius wird ganz
fruchtbar, der die Mittel des Ausdrucks voll-
kommen beherrscht."

Protogenes kam erst durch Apelles zu Ehren.
Dieser fragte ihn, wieviel er für die gerade
fertigen Bilder erhalte, und als Protogenes eine

ganz geringe Summe nannte, bot er ihm sogleich
50 Talente dafür. Zugleich gab er sich den An-
wesenden gegenüber den Anschein, als wolle er
die Bilder für seine eigenen ausgeben. Dadurch
kamen erst die Rhodier zu der Einsicht von dem
W erte der Rilder und waren bereit, ihm jenen
Preis zu zahlen.

Einst befand sich Protogenes in Alexandrien.
Bei Hofe waren viele Neider, die ihm zu schaden
suchten, und einer derselben überbrachte ihm
eine gefälschte Einladung des Königs zum Gast-
mahl. Der Künstler erschien und wurde durch
die befremdende Frage des Ptolemäos, wer ihn
gebeten habe, mit Scham und ^ erlegenheit er-
füllt, weil er keinen Namen anzugeben wußte.
Da nahm er eine Kohle vom Herd und zeichnete
den Mann mit so treffenden Zügen an dieW and.
daß der König ihn sogleich erkannte und den
Künstler schätzen lernte, den man bei ihm ver-
leumdet hatte.

Die berühmtesten Bilder des Protogenes waren
der Jalysos und der an einer Säule stehende
Satyr, auf der ein Rebhuhn saß. Dieses war so
natürlich gemalt, daß es aus dem Rüde heraus-
zutreten schien und wurde, wie Strabo berichtet,
von den Leuten dermaßen begafft und bewun-
dert, daß man den Satyr darüber vergaß, ob-
wohl er doch viel vorzüglicher war. Noch grö-
ßeres Erstaunen erregte es aber, als die Reb-
huhnzüchter zahme brachten, die. dem Rüde
gegenübergesetzt, es ankrähten und darauf zu-
liefen. Da nun Protogenes merkte, das Kunst-
werk werde zur Nebensache, bat er den Vor-
steher des Tempels um die Erlaubnis, den Vogel
auswaschen zu dürfen, und das wurde ihm auch
zugestanden.

Berühmter noch war sein Jalysos. den er malte,
während Demetrius die Stadt belagerte. Sein
Atelier war in einem Hause der Vorstadt, und
als diese eingenommen wurde, schickten die
Bürger an Demetrius einen Herold mit der
Bitte, er möge des Bildes schonen. Der Feldherr
antwortete, er wolle lieber alle Bildnisse seines
A aters verbrennen als ein solches Kunstwerk
berühren. Protogenes hatte sich übrigens durch
das Kampfgetümmel bei der Arbeit nicht stören
(Fortsetzung S. 72)

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