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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 45.1929-1930

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Wolf, Georg Jacob: Aus der Neuen Staatsgalerie München
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B Kuns...............k

Staatllchs Müssen
zu Berlin

AUS DER NEUEN STAATSGALERIE MÜNCHEN

Als man kurz nach dem Kriege zur Gründung
der ...Neuen Staatsgalerie" in München schritt
es war die verdienstvolle Tat Friedrich Dörn-
höffers —. grab man die Raumnot der Neuen
Pinakothek als das treibende Moment an. Na-
türlich traf dies auch zu. Aber diese räumliche
En<re der Sammlung war, genau besehen, doch
nur ein äußerer, fast ist man versucht zu sagen:
ein äußerlicher Umstand. Man überwand durch
die Betonung dieser Tatsache den W iderstand
vor allem der „Secession" und ihrer Freunde
und Yorstreiter. die sich aus dem Griechentempel
des Kunstausstellungsgebäudes am Königsplatz,
wo nun die ,.Neue Staatsgalerie" einzog, ver-
trieben sahen und eine erregte, fast entrüstete
Debatte darüber begannen, was wichtiger sei:
museale Werte zu pflegen oder dem lebendigen,
täglich sich aufs neue gebärenden Schaffen der
Gegenwart eine Stätte der Betätigung und die
Möglichkeil wechselnder Ausstellungen und
Auseinandersetzungen zu belassen. So umwitterte
Kampf und AN iderspruch die Gründung der
..Neuen Staatsgalerie", die indessen auch dann
notwendig gewesen wäre, wenn die Baumnot
der Neuen Pinakothek nicht bestanden hätte.
Denn außer diesem schon erwähnten äußeren
Umstand war ein innerer, viel ernsterer Grund
dazu vorhanden, nämlich die Erkenntnis der
schreienden Diskrepanz zwischen dem künstle-
rischen Schaffen der Zeit um etwa 1870 und
dem künstlerischen Schaffen des letzten Jahr-
zehnts, des W iderspruches der Y\ erke etwa eines
Feuerbach. Böcklin. W .Diez. Lenbach. Piloty auf
der einen Seite, eines Münch, Hodler. Pechstein.
Kokoschka, Hofer auf der anderen Seite: und
waren doch beide, unter dem gleichen Dach und
nur durch einige Wände getrennt, beisammen!
In dem Maß, als das Kunstgut der N euen Pinako-
thek aus der produktiven Kunst der Gegenw art er-
gänzt und vermehrt werden sollte, mußte sich
dieser Gegensatz immer drastischer und für den
feinnervigen Kunstfreund unerträglicher be-
merkbar machen. Denn wer heute Kunst in
Museen und Galerien genießen will, der verlangt
nicht mehr, wie man es wohl einst tat, nach
Kontrasten, nach bunter .Mannigfaltigkeit, nach
pointiertem Wechsel der Eindrücke, sondern er

wünscht sich eine gleichsam ineinandergleitende
Verbundenheit der gezeigten \\ erke. er will
Harmonie, zum mindesten seelischen und gei-
stigen Gleichklang, wenn derjenigedes Ausdrucks
und der Technik schon nicht erreichbar ist, er
verlangt Homogenität einer Kunstsammlung.
Diese Erkenntnis, die zunächst nur gefühlsmäßig
bestand, aber in dem Grad wuchs und klar und
plastisch wurde, in dein gerade in den letzten
zehn Jahren das Kunstschaffen ganz Europas
wie ein aus seiner AN urzel gerissener Berg die
Bezirke der Tradition überschüttete und unter
seinem aus der Zeit geborenen, gänzlich ver-
änderten Wesen verbarg, bestand natürlich nicht
in München allein: auch Berlin und Dresden
zweigten von ihren Galerien neuerer Malerei
Filialen ab. die in besonderem Alaße dein jüng-
sten Schaffen galten. Es entsprach also einem
weitverbreiteten Empfinden, neben jeden Louvre
einen Luxembourg zu setzen oder neben dem
Museum der neueren Malerei eine Galerie
neuesten Kunstschaffens aufzutun. -
Eine Galerie dieser Art muß um so mehr als ein
zweckdienliches und seine Aufgabe erfüllendes
Institut erkannt werden, je weniger sie ein Defini-
tivum darstellt, sondern auf künftiges W achs-
tum angelegt bleibt und die Möglichkeit der
Auswechslung, unter L mständen sogar der Aus-
schaltung des einen und des andern Werkes
gewährt. Ein Galerieleiter ist ja auch kein un-
fehlbarer Kunstpapst, er kann und soll es nicht
sein: auch er wird nach persönlicher Einstellung
und Temperament und besonders wenn er in
seiner Kunstanschauung von starkem Zeitgenos-
sengefühl getragen ist. Kunstwerke erwerben,
die vielleicht Dokument, vorzügliches Dokument,
der künstlerischen Stimmung und Richtung des
Tages sind, die aber nicht den Ewigkeitszug.
nicht dauernden W ert in sich tragen. So wichtig
sie also für einen gewissen Zeitraum als Beweis-
stücke des besten Könnens und des stärksten
Ausdrucks künstlerischer Zeilstimmung sind,
ebenso entbehrlich werden sie der Galerie nach
einer bestimmten Zeitspanne sein, sobald die in
ihnen dokumentierte Richtung abgeklungen und
nur historisch, nur als Episode zu werten ist. Ich
wünsche allen Leitern großer moderner Kunst-

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