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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 45.1929-1930

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Heilmaier, Hans: Gustave Courbet und sein Werk: aus Anlass der Courbet-Ausstellung im Palais des Beaux Arts in Paris
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https://doi.org/10.11588/diglit.14160#0052

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indessen vollauf, um die imposante Silhouette
Courbets und seiner Kunst neuerdings zu be-
schwören. Kein Werk eines anderen Künstlers
ist von Zeitgenossen und Nachwelt widersprüch-
licher eingeschätzt worden als das seine. Die
Nennung seines Namens allein scheint zu ge-
nügen, um die Polemik stets von neuem zu ent-
fachen. Doch wie man auch zu ihm stehen
möge: sein W erk bleibt mit allen A orzügen und
Schwächen ein Markstein am Y\ ege der Malerei
des verflossenen Jahrhunderts.
Wie war die Situation zur Zeit seiner Anfänge?
Mit Delacroix, Corot und den meisten Malern
der Landschafterschule von 1830 bekam er die
Abneigung des Publikums und Instituts zu
spüren. Das Sujet spielte, wie immer, für die
Masse eine ausschlaggebende Rolle. Das Publi-
kum war an die Historienmalerei der Akademie
gewöhnt. H. A ernet. Couture, Delaroche und
andere ephemere Größen waren die Lieblinge
der Stunde. Ingres, der David-Schüler, stand
als einer der wenigen bedeutenden Anhänger
des Klassizismus aus demselben Grunde im An-
sehen. So ungefähr war die Lage, da der Zwan-
zigjährige 18/40 unter dem A orwande, die Rechte
zu studieren, nach Paris kam. Daß er Maler
wurde, hatte er sich bereits als Schüler des
königlichen Lyzeums in Resancon vorgenommen,
wo Flajoulot, ein David-Begeisterter, ihn die
strengen zeichnerischen Formen lehrte. Über
den gebräuchlichen Maler- und Atelierbesuchen
und einer ersten L mschau vergeht mehr als ein
Jahr. i84a findet er ein Atelier in der Rue de
la Harpe und wirft sich mit aller Kraft auf die
Arbeit. Zwischendurch malt er Kopien nach
denjenigen der Meister, deren Technik und Art
ihm zusagt. Die Musestunden verbringt er häufig
im Louvre. Seine in Kraftsprüchen sich gefallen-
den Urteile werden uns durch Duret und noch
andere seiner Historiographcn übermittelt. Rem-
brandt ist für ihn etwas ganz Erhabenes: daneben
glänzt das Dreigestirn A elasquez-Ribera-Zur-
baran. Ostade ist sein Liebling und Holbein
eine künstlerische Respektsperson. Von den Ita-
lienern findet im allgemeinen nur Veronese
Gnade vor seinen Augen. Tizian und Leonardo
nennt er „filous". Raphael ist das rote Tuch
für den Stier. Man braucht an Courbets Aus-
sagen nicht zu zweifeln. Man nimmt sie aber
besser nicht für volle Münze. Zu manchen der
im Sinne der Gerstenbergschen ,A enus und
Psyche" gemalten Kompositionen (die im Petit
Palais gebotenen Reispiele bewiesen es neuer-

dings) hat die italienische Renaissance trotz
allem Pate gestanden. AYie es um den Maler
Courbet — nicht um den polternden Plauderer—
tatsächlich steht, vernehme man aus seinem
eigenen Munde: ,.Je n'ai pas plus voulu hinter
les uns et copier les autres. J'ai etudie en dchors
de tout esprit de Systeme et sans parti pris Fart
des anciens et modernes . . ." — Die einzelnen
Etappen seines künstlerischen Weidegangs be-
kräftigen das Gesagte. Er ist viel zu sehr Instinkt-
mensch, um sich von irgendwelchen Tendenzen
leiten zu lassen. Viel zu sehr Praktiker, um sich
in fruchtlosem Theoretisieren zu verausgaben.
Courbet war nicht auf die Vervollkommnung
einer persönlichen Handschrift aus. Lngeachtet
manches A ersagers und gewisser Plattheiten
(so die Riesenleinwand „Pompiers courant a un
incendie"), sündigte er nie durch bloße und
bewußte Bravourleistungen des Pinsels. Sein
Frühwerk zeigt bereits die sehr unterschiedliche
Arbeitsweise, welche ihm eigentümlich ist. \\ er
dächte vor dem 184 4 entstandenen Porträtseiner
Schwester Juliette, das auch ein Schwind ge-
malt haben könnte, an die nach Sujet und Auf-
fassung durchaus romantischen „Aniants de la
Campagne", an das Selbstbildnis ..Courbet au
einen noir", das gerade um dieser Charakte-
ristiken wegen den Beifall der Kritik fand? Die
folgenden Jahre ergeben eine reiche Ernte. Die
.. Hängematte", eine einwandfreie, ja meisterliche
Komposition, der „Cellospieler", „L'apres-diner
ä Omans", ..L'Homme ä la ceinture de cuir",
..L'Hommc blesse" und andere Rilder. In den
zwei letztgenannten Arbeiten hat sich Courbet,
wie in vielen der Männerbildnisse, selbst dar-
gestellt. Die beiden \\ erke zählen zu den Gipfel-
leistungen seines Lebenswerks. Die Malweise
des Hell-Dunkel ist den Holländern entliehen.
Nach einer Reihe von Mißerfolgen und Ableh-
nungen durch die Jury bringt der Salon von
18/19 c^en erslen großen moralischen Erfolg. Der
Staat kauft das ..Apres-diner ä Omans". Dela-
croix ist von dieser Arbeit begeistert. Ingres
tadelt das A ulgäre darin.

Der Realismus

„Le titre de Realiste m'a ete impose comme on
a impose aux hommes de 1830 le titre de ro-
mantiques." Reurteilt man die weltanschau-
lichen und gesellschaftlichen Umwälzungen vom
Standpunkt erhitzter Stamintischgespräche aus.
so hat Courbet Recht. Es wäre jedoch falsch,

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