OTTO D I X. SPIELENDE KINDER
Ausstellung Venedig
delnder Lebenszeilen durchdrungen, wie wir es
bei bedeutenden Selbstbiographien fast immer
finden. Daher kommt es vielleicht, daß viele
Künstler eine ganze Reihe von Selbstbildnissen
hinterlassen haben, als geformte Marksteine
ihrer persönlichen Entwicklung, oft schon aus
Kindheit und Jugend, meist aber auf der Höhe
des Lebens oder im letzten Alter. Von Dürer
besitzen wir sechs bis sieben solcher Selbstdar-
stellungen, von Rubens vier, von Feuerbach zehn
bis zwölf und von Rembrandt sind uns sogar
über achtzig Selbstbildnisse bekannt. Aus der
nachträglichen Aneinanderreihung dieser Por-
träts mag es dann vielleicht gelingen, die Wand-
langen abzulesen, welche die Persönlichkeit
eines Künstlers im Laufe ihrer Entwicklung er-
fuhr, ohne daß es jedoch möglich oder auch nur
im entferntesten wünschenswert wäre, daraus
etwas wie eine gleichsam gemalte Selbstbiogra-
phie zu rekonstruieren.
Denn jedes Selbstbildnis besitzt seinen Wert in
sich, und das Autobiographische darf an ihm
nur soweit interessieren, als es in die Reinheit
der Form aufgegangen ist. Diese Form nun
unterliegt zunächst den gleichen Forderungen,
die an ein Bildnis überhaupt zu stellen sind,
und wie bei diesem entsteht sie auch beim Selbst-
bildnis aus dem inneren ^ erhältnis des Dar-
stellers und dessen, der porträtiert werden soll.
Denn wenn im Selbstbildnis auch beide allem
Anschein nach identisch sind, so erweist sich
sogleich bei seiner Entstehung der Gegensatz
zwischen ihnen prägnant und klar als der eines
seiner selbst bewußten Ich und eines erschei-
nenden Phänomens. Der Spiegel steht vermit-
telnd, aber auch zugleich trennend zwischen
ihnen. Wenn ein Mensch nur mit Hilfe des
Spiegels seines eigenen Bildes habhaft werden
kann, so wird ihm damit keine wache A orstel-
lung über seine Erscheinung zuteil, sondern das
eigene lebendige Antlitz taucht wie aus einer
traumhaft-unwirklichen Sphäre, aus einer glä-
sernen erstarrten W elt gleichsam, als ein zweites
sich selber eigentlich ganz fremdes Ich aus dem
Kunst für Alle, Jahrg. 45, Heft 12, September 1930
377
48
Ausstellung Venedig
delnder Lebenszeilen durchdrungen, wie wir es
bei bedeutenden Selbstbiographien fast immer
finden. Daher kommt es vielleicht, daß viele
Künstler eine ganze Reihe von Selbstbildnissen
hinterlassen haben, als geformte Marksteine
ihrer persönlichen Entwicklung, oft schon aus
Kindheit und Jugend, meist aber auf der Höhe
des Lebens oder im letzten Alter. Von Dürer
besitzen wir sechs bis sieben solcher Selbstdar-
stellungen, von Rubens vier, von Feuerbach zehn
bis zwölf und von Rembrandt sind uns sogar
über achtzig Selbstbildnisse bekannt. Aus der
nachträglichen Aneinanderreihung dieser Por-
träts mag es dann vielleicht gelingen, die Wand-
langen abzulesen, welche die Persönlichkeit
eines Künstlers im Laufe ihrer Entwicklung er-
fuhr, ohne daß es jedoch möglich oder auch nur
im entferntesten wünschenswert wäre, daraus
etwas wie eine gleichsam gemalte Selbstbiogra-
phie zu rekonstruieren.
Denn jedes Selbstbildnis besitzt seinen Wert in
sich, und das Autobiographische darf an ihm
nur soweit interessieren, als es in die Reinheit
der Form aufgegangen ist. Diese Form nun
unterliegt zunächst den gleichen Forderungen,
die an ein Bildnis überhaupt zu stellen sind,
und wie bei diesem entsteht sie auch beim Selbst-
bildnis aus dem inneren ^ erhältnis des Dar-
stellers und dessen, der porträtiert werden soll.
Denn wenn im Selbstbildnis auch beide allem
Anschein nach identisch sind, so erweist sich
sogleich bei seiner Entstehung der Gegensatz
zwischen ihnen prägnant und klar als der eines
seiner selbst bewußten Ich und eines erschei-
nenden Phänomens. Der Spiegel steht vermit-
telnd, aber auch zugleich trennend zwischen
ihnen. Wenn ein Mensch nur mit Hilfe des
Spiegels seines eigenen Bildes habhaft werden
kann, so wird ihm damit keine wache A orstel-
lung über seine Erscheinung zuteil, sondern das
eigene lebendige Antlitz taucht wie aus einer
traumhaft-unwirklichen Sphäre, aus einer glä-
sernen erstarrten W elt gleichsam, als ein zweites
sich selber eigentlich ganz fremdes Ich aus dem
Kunst für Alle, Jahrg. 45, Heft 12, September 1930
377
48