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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 46.1930-1931

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Zur chinesischen Porträtkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.16478#0029

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ZUR CHINESISCHEN PORTRÄTKUNST

Wir sehen hier den Kopf einer alten Dame, es
ist der Teil eines Ahnenbildes., um 1300 n. Chr.
gemalt. Die innere W esensart dieses Menschen
wurdezeichnerischauf die knappste, schlagendste
Form gebracht: abgekürzt,verdeutlicht, insEwige
gemeißelt : Monogramm und Schlüssel der Seele.
Aber das Bild wird erst fertig durch das Gewand:
da bauen sich mächtige Farben töne in Wucht und
Pracht: gedämpfte Vornehmheit, die sich auf-
türmt zu großer, ruhiger Symphonie.
Im Gesicht filtriert das Zeichnerische tief ver-
stehend die Essenz des Innern ; durch die kühne
Flächendekoration des Kleides strahlt die ge-
bändigte W ürde nach außen. Es ist in demW erk
an jeder Stelle die restlose Reife der "Vollendung.
Der chinesische Maler läßt sich niemals von
seinen Augen hinauslocken in eine realistische
Abhängigkeit. Die Augen sind ihm nur die Türen,
die jedes Ding hineinlassen zur Innenwerkstatt
des Schöpferischen. Dort wird die Außenwelt im
Feuer des Geistigen umgeschmolzen und ver-
klärt — um dann neu geboren zu werden als
geistgereinigte Kunstwelt.

Einen Gegensatz von Realismus und Idealismus
gibt es hier nicht, denn die Y\ elt in China blieb
heil und gesund. Das Materielle selber ist geist-
durchströmt und kann daher aufblühen zum
zartesten Sinnbild der Seele.
W ie verhalten und sparsam die Farben sind, sie
kennen ihren W ert, sie treten keusch zurück,
aber ihr zartestes Blinken wirkt stärker als jedes
bunte Geschrei.

Überhaupt werden alle malerischen Mittel mit
weisester Ökonomie verwendet, die innere feste
souveräne Geschlossenheit des Bildorganismus

ist stets das Ziel. So wächst durch vorsichtige
ehrfurchtsvolle Pflege im Lauf der Generationen
eine Kunst heran, die sich wie ein leichter hoher
spiegelnder Himmel über dem Erdesein wölbt.
Man genießt dort die Dinge in ihrer zweiten
seligen Existenz, die ihnen der Künstler gab.
Und darum sind diese Werke ebensosehr ein
heiteres Bejahen des Irdischen wie auch ein
Triumphgesang auf die Herrschergewalt der
schaffenden Freiheit.

So ist dem Chinesen die Kunst der Malerei heilig
im höchsten Sinn. Es handelt sich niemals nur
um technische Fertigkeiten und um die Bravour
irgendeines gelenken Fingers. Die Gesamtbii-
dung einer alten Kultur steht hinter jedem Bilde.
Lnd das Erste, was vom Maler gefordert wird,
ist daher: strahlende Reife seines Menschentums.
Denn nur so wird er fähig, das wahrhaft Mensch-
liche zu formen.

Es mag dem Europäer schwer fallen, dies alles
sogleich zu erkennen. Doch die stärksten Künstler
des Abendlandes ringen um den gleichen W eg
zur gleichen Höhe. Aber jener Riß, der unser
Leben zersplittert hat, schließt sich nicht so
schnell. W as in Asien jahrtausendjährige Ruhe
geformt hat, wollen wir durch leidenschaftlichen
Ansturm jetzt nachholen. Doch Gehalt und
Technik fallen immer wieder auseinander. Eine
krampfhafte Unruhe gärt in den besten unserer
neueren Meister.

So kann uns der Anblick chinesischer Meister-
werke zu tiefer Besinnung führen und zu der
Einsicht, daß die Fundamente in Ordnung sein
müssen, bevor es möglich ist, einen guten Bau
zu errichten. x).

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