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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 46.1930-1931

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Huschke, Konrad: Anselm Feuerbach und Johannes Brahms, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.16478#0166

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ANSELM FEUERBACH
UND JOHANNES BRAHMS

Zu den interessantesten Erscheinungen Baden-
Badensgehörte in den sechziger Jahren des vorigen
Jahrhunderts der Maler Anselm Feuerbach. Er
stand damals auf der Höhe seiner Leistungskraft
und war erfüllt von großartigen künstlerischen
Entwürfen, die er mit eiserner W illensstärke
verwirklicht hat. Aber als Stiefkind einer ver-
ständnislosen materialistischen Zeit hatte er sich
mehr und mehr aus der Öffentlichkeit zurück-
gezogen. ..Die massenhaften Halbmenschen",hat
er später geschrieben, und das war schon damals
seine Auffassung, „sollen hinter ihren gesetz-
lichen Grenzpfahl getrieben werden, das Geschrei
Unberufener muß erst verstummen, ehe ein ver-
nünftiges Wort zur Geltung kommen kann. Wer
wie ich mit eigenen Augen gesehen hat, welche
Masse von ursprünglichen, schöpferischen Talen-
ten in den breiten, sich stets wiederholenden,
phrasenhaften Gemeinplätzen und falschen
Schlüssen zugrunde geht, der kann und muß
die Übelstände wenigstens beleuchten, wenn er
sie auch nicht wegräumen kann."
Mit diesem Ausnahmemenschen in nähere Füh-
lung zu kommen, war nur wenigen vergönnt,
da er aus seiner Einsamkeit und der Stille des
Landlebens, in das er sich mit seiner viel verehrten
Stiefmutter Henriette Feuerbach vergraben hatte,
nur ganz selten hervortrat. Zu den V\ enigen ge-
hörte Clara Schumann, die im Baden-Badener
Vororte Lichtenthai ein kleines Landhaus besaß.
Bei ihr aber lernte er 1867 einen ihm in vieler
Beziehung verwandten großen Musiker kennen,
der seine Kunst durch\ ermittlung eines gemein-
samen Freundes, des späteren verständnisvollen
Feuerbach-Biographen Allgeyer, kennengelernt
hatte und ihr in größter Bewunderung ergeben
war. Dieser Musiker hat Allgeyer dafür noch
oft aus vollem Herzen gedankt, das eine Mal mit
der vielsagenden Begründung, daß er doch nicht
immer große tote Musiker spielen möchte und
daß nach ihnen Feuerbach der beste, ja der ein-
zige sei. Den Trost, den ihm Bach und Beethoven,
Mozart, Schubert und Schumann, allzu häufig
von ihm in Anspruch genommen, nicht mehr
bieten konnten, fand er im Anblick der aus Leid
zur Freude geborenen Idealgestalten der Feuer-
bachschen Kunst.

Es war Johannes Brahms, damale 34 Jahre alt,
also vier Jahre jünger als Feuerbach. Und bald
trat er voll herzlicher Sympathie zu dem bewun-
derten Kollegen von der anderen Kunst, dessen
schöne, edle Erscheinung schon ihn ungemein
anzog, in näherepersönliche Beziehungen. Feuer-
bach fühlte sich von seiner Eigenart außerordent-
lich gefesselt. Und das ist verständlich, denn nicht
allein sein gewaltiges Klavierspiel, mit dem sich
auch eine noch so glänzende^ irtuosenkunst über-
haupt nicht vergleichen ließ, zog unwiderstehlich
an, sondern er machte schon an sich den Eindruck
einer machtvollen Individualität. Zwar die kurze,
gedrungene Gestalt, die vorgeschobene Unter-
lippe, die dem damals noch bartlosen Gesicht
einen etwas spöttischen Ausdruck gab, waren in
die Augen fallende Eigentümlichkeiten, die eher
mißfallen konnten. Aber die ganze Erscheinung
war gleichsam in Kraft getaucht. Die löwenhaft
breite Brust, die herkulischen Schultern, das
mächtige Haupt, die gedankenvolle, schöne, wie
von innerer Erleuchtung glänzende Stirn und
die sprühenden germanischen Augen verrieten
eine künstlerische Persönlichkeit, die bis in die
Fingerspitzen mit genialem Fluidum geladen
zu sein schien.

Lnd doch kam es zwischen den beiden Meistern
zu keinem engeren Freundschaftsbund. Feuer-
bach war im \ erkehr sehr zurückhaltend und
schwer zugänglich, besaß ein überaus reizbares,
leicht verletztes Naturell und hatte einen ausge-
prägten Künstlerstolz, der zuweilen an geistigen

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Hochmut zu grenzen schien. Brahms dagegen
war von rückhaltslos offener, ja manchmal so-
gar schroffer und kaustischer Art des Verkehrs
und verletzte damit empfindsame Naturen
leicht. Daneben besaß er in künstlerischer Be-
ziehung eine auf berechtigtes Selbstgefühl ge-
gründete vornehme Bescheidenheit, die auf viele
ebenso befremdend wirkte wie Feuerbachs stolzes
Wesen.

So fühlten sie sich einerseits unwiderstehlich zu-
einander hingezogen und doch auch wieder
voneinander abgestoßen. Und das war tieftra-
gisch. Denn nicht nur hatte Brahms höchstes
A erständnis für die Feuerbachsche Kunst, son-
dern Feuerbach war auch eine hochmusikalische

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